Lärm

Norderstedt will in Zukunft leiser werden

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Andreas Burgmayer
Lärm-Opfer: Holger Dornberg, 64, verkauft seit 20 Jahren Lebensmittel an der Poppenbütteler Straße. "Ich habe einen Tinitus und Bluthochdruck - alles wegen des Straßenlärms, sagt der Arzt!"

Lärm-Opfer: Holger Dornberg, 64, verkauft seit 20 Jahren Lebensmittel an der Poppenbütteler Straße. "Ich habe einen Tinitus und Bluthochdruck - alles wegen des Straßenlärms, sagt der Arzt!"

Foto: Andreas Burgmayer / HA

Mit dem Lärmaktionsplan will die Stadt bis 2018 für mehr Ruhe auf den Norderstedter Straßen sorgen. Straßenverkehr ist große Belastung.

Norderstedt.  Wie schädlich Straßenlärm sein kann, das weiß Holger Dornberg, 64, vielleicht so gut wie kaum ein anderer Nordersteder. Der Mann steht seit gut 20 Jahren an der Poppenbütteler Straße, am Rand der Fahrbahn auf einem kleinen Stück einer Koppel der Reitanlage Hof Nordpol. Dort verkauft Dornberg Lebensmittel von Bauern aus der Region, Kartoffeln, Spargel, Würstchen und Honig.

Wenn er nach einer Schicht am Straßenrand abends nach Hause kommt, dann fiept es in seinem Ohr. „Ich habe einen Tinnitus. Und Bluthochdruck“, sagt der Straßenhändler. „Der Arzt sagt, das kommt alles vom Straßenlärm.“ Dornberg hat sich ein Dezibel-Messgerät zugelegt. „Wenn hier am Nachmittag die dicken Brummis entlangrauschen, dann habe ich hier bis zu 85 Dezibel.“ Die EU-Kommission sagt, wer dauerhaft einer Lärmbelastung von über 65 Dezibel ausgesetzt ist, wird krank davon. Dornberg ist nicht allein. 20 Prozent der Bevölkerung in Europa ist dauerhaft im Lärmstress. In Norderstedt sind es tagsüber 8100 Menschen, die unter einer Lärmbelastung zwischen 60 und bis zu 75 Dezibel leiden. Nachts sind es 3600 Menschen, die trotz einer die Gesundheit beeinträchtigenden Lärmbelastung zwischen 55 und 65 Dezibel die Augen zu bekommen müssen.

Von seinem Arzt hat Dornberg eine „Mickey Maus“ verschrieben bekommen, also einen schalldichten Kopfhörer. Den soll er möglichst oft tragen, wenn er an der Poppenbütteler Straße sitzt. „Aber ich muss ja mit meinen Kunden kommunizieren, das geht nicht.“ Zehn Jahre will Dornberg an der Straße noch ausharren. „Dann reicht’s für die Rente.“ Und er nimmt seine Lage mit Humor. „Hier ist ja nicht nur Lärm. Ich habe ja auch frische Luft und viel Kontakt zu Menschen – das hält mich ja auch jung!“

Doch die Stadt Norderstedt kann und darf sich nicht darauf verlassen, dass lärmgeplagte Bürger sich mit ihrem Schicksal irgendwie arrangieren. Die Stadtverwaltung ist durch die EU-Gesetzgebung dazu verpflichtet, für größtmögliche Ruhe in ihren Straßen zu sorgen. Alle Maßnahmen dafür müssen in einem Lärmaktionsplan (LAP) zusammengefasst werden. Gerade hat Norderstedt – unter Beteiligung der Bürger und vieler Experten – den überarbeiteten Aktionsplan vorgelegt, der bis 2018 gilt. Ein ambitioniertes Lärmbekämpfungspaket mit einem Investitionsvolumen von 5,7 Millionen Euro. „Würden wir nichts tun“, sagt Helmut Brüning, Leiter des Amtes Nachhaltiges Norderstedt und federführend bei der Ausarbeitung des LAP, „dann leiden 2018 insgesamt 15.260 Norderstedter unter einem beständigen Lärmpegel über 55 Dezibel. Mit dem LAP werden es 13.930 Menschen“. Umgerechnet gibt die Stadt also für jeden dieser Bürger 6,71 Euro aus, damit es vor dessen Haustür ruhiger wird. „Eine Investition, die sich innerhalb von 3,2 Jahren amortisiert, wenn man allein die Immobilienpreise zugrunde legt – den Wert der viel wichtigeren gesundheitlichen Verbesserung mag ich gar nicht beziffern“, sagte Brüning bei der Vorberatung des LAP im Umweltausschuss. Die Kommunalpolitiker aller Fraktionen würdigten den Detailreichtum des Aktionsplans und seine Zielsetzung, langfristig in Norderstedter Wohngebieten der Lärmpegel tagsüber nicht über 55 Dezibel und nachts nicht über 45 Dezibel steigen zu lassen. Wobei Stadtvertreter Joachim Brunkhorst, CDU, klarstellte: „Friedhofsruhe wollen wir in Norderstedt nicht haben. Jugendliche sollen schon auch mal ein paar Stunden feiern dürfen!“

Die Beantwortung der Frage, wie die Lärmminderung in Norderstedt konkret zu erreichen ist, bedingt die Lektüre von 186 Seiten Aktionsplan, phasenweise in Amtsdeutsch und fachspezifisch formuliert. Für die CDU kapitulierte im Umweltausschuss das bürgerliche CDU-Mitglied Anton Josov. Er meldete Beratungsbedarf für die komplette Fraktion an und wollte die Beschlussfassung des Ausschusses über den LAP verschoben sehen. „Ich habe das alles noch nicht komplett gelesen und verstanden. Ich möchte aber nicht dumm abstimmen“, sagte Josov. Musste er aber, denn die anderen Fraktionen verwehrten den Christdemokraten weitere Beratungszeit. „Der LAP wurde mehrfach im Ausschuss diskutiert. Viele Bürger dieser Stadt haben sich beteiligt bei der Ausarbeitung. Es wäre ein Armutszeugnis für die Politik, wenn wir das jetzt verschieben und nicht beschließen“, sagte Sybille Hahn, SPD. Mit neun Ja-Stimmen wurde der LAP schließlich beschlossen, die fünf Vertreter der CDU enthielten sich der Stimme. Endgültig entscheiden über den LAP wird die Stadtvertretung am Dienstag, 7. Juni.

Der LAP besteht aus Hunderten Einzelmaßnahmen. Im Kern dreht sich alles um eine Reduzierung der Geschwindigkeit im Straßenverkehr, Schallschutz und die Förderung des Radverkehrs und des öffentlichen Nahverkehrs. Mit der Kompetenz, auf Norderstedter Straßen die Verkehrsüberwachung zu übernehmen, kann die Stadt demnächst Tempo-Limits aus Lärmschutzgründen anordnen und durchsetzen. Gerade hat Verkehrsminister Reinhard Meier das in einem Brief an die Stadt bekräftigt. Aber auch bei der Stadtentwicklung und im Fahrbahnausbau wird der Lärmschutz stärker berücksichtigt. Gebäudeprojekte werden gefördert, die als Schallschutzriegel zur Straße hin wirken. Und beim Ausbau von Straßen wird auf Lärm reduzierende Gestaltung geachtet.

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