Hubert Ramcke findet regelmäßig Hunderte wertloser Tippzettel in seinem Garten und in der Umgebung. Niemand weiß, wie sie dahin kommen

Norderstedt. Er könnte Millionär sein. Wenn all die Lottoscheine, die Hubert Ramcke, 72, mindestens alle zwei Wochen aufsammelt, ausgefüllt wären. Dann könnte der Norderstedter ganz entspannt die Ziehungen abwarten - wohl wissend, dass seine Chancen auf einen großen Gewinn nicht so schlecht stehen. Doch ein Glücksgefühl will sich nicht einstellen, die emotionale Lage wird eher von Ärger und Wut geprägt. Denn er ist nur Lotto-Schein-Millionär. Auf den Zahlenreihen sind keine Kreuze. Die Scheine sind wertlos und brechen wie eine Flut regelmäßig in Ramckes Garten ein und verteilen sich entlang der Straße In de Tarpen.

Da wohnen außer Ramcke kaum Menschen. Das Gebiet ist das fast ausschließlich mit Firmen besiedelt. Und die kümmern sich nicht um die Lottoscheine, die der Wind weiträumig über Fußwege und Rasenstücke verweht und an Zäune klebt. Und so ist es an Ramcke, den Papier-Müll wegzuräumen oder liegen zu lassen.

Inzwischen befreit er nur noch seinen Garten von den Zetteln. Mehr geht nicht mehr, und mehr will er auch nicht mehr leisten, sagt der Senior. Meist tauchen die Tipp-Formulare kurz vor dem Wochenende wie aus dem Nichts auf. "Ich habe sie noch nie gezählt, aber es sind mehrere Hundert, wenn nicht sogar mehr als 1000", sagt der Betroffene.

Es handelt sich um Scheine von "Keno" mit fünf Tippfeldern und der Möglichkeit, an "plus 5" teilzunehmen und die Gewinnchancen womöglich zu erhöhen. "Die tägliche Chance auf 1 Million Euro" steht denn auch unten auf dem Schein, für den die Lottozentrale Hamburg verantwortlich zeichnet. Doch auch die Kollegen aus Kiel hinterlassen im Südwesten Norderstedts ihre bunten Scheine.

"Das geht nun schon seit mehr als zwei Jahren so", sagt der Müllsammler wider Willen. Er hat keine Lust und Kraft mehr, die Zettel aufzuheben und zu entsorgen. Doch alle Versuche, das Ärgernis zu stoppen, sind bisher gescheitert. Der Norderstedter hat mit den Lottozentralen in beiden Bundesländern gesprochen und mit dem Ordnungsamt der Stadt Norderstedt. Da habe man ihm geraten, den Vorgang zu dokumentieren, eine Liste mit den Tat-Tagen anzulegen und Anzeige zu erstatten. "Wie soll ich das rückwirkend für zwei Jahre machen, und eine Anzeige bringt nichts, die Ermittlungen verlaufen doch sowieso im Sand", sagt Ramcke. Er sei überall gegen eine Wand gelaufen, sagt der Senior, der aus lauter Verzweiflung schließlich die Polizei eingeschaltet hat. Doch das Telefonat endete abrupt, die Beamtin habe ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass die Polizei Besseres zu tun habe. "Und da hat sie auch Recht", sagt Hubert Ramcke.

Fest steht bisher nur, dass es sich ganz offenbar um ein Mysterium handelt. Bisher kann niemand erklären, wie die Lottoscheine dahin kommen, wo sie sich so regelmäßig zeigen. Es ist, als fielen sie einfach vom Himmel, was natürlich, bei allem Respekt vor unerklärlichen Phänomenen, nicht wirklich so sein kann.

"Man könnte vermuten, dass es sich um Rückläufer aus den Lotto-Annahmestellen handelt", sagt Florian Blömer, stellvertretender Pressesprecher der Lottozentrale in Kiel. Doch diese Lösung scheide aus. Die Zentrale versorge rund 800 Annahmestellen im nördlichsten Bundesland mit Tippscheinen, durchschnittlich würden rund 200 Scheine an jede Filiale ausgeliefert. Nicht ausgefüllte Vordrucke würden aber nicht zurückgegeben.

"Sie bleiben in den Annahmestellen und werden weiter gespielt", sagt Blömer, der vermutet, dass sich da jemand einen schlechten Scherz erlaubt, sich in mehreren Lotto-Annahmestellen mit Scheinen eindeckt und sie dann bei Ramcke in die Luft schmeißt. Eine Erklärung, die dem Betroffenen wenig plausibel erscheint. "Ich kenne niemanden, der mir so übel mitspielen will, und ich kann mir ein solches Szenario auch schlecht vorstellen."

Auch Siegfried Spies, Geschäftsführer von Lotto Hamburg, muss auf die Frage nach einer Erklärung passen. "Ich vermute, dass es sich um Tippscheine handelt, die in Zeitungen beiliegen und beim Transport auf Lkw herauswehen." Er will in jedem Fall Kontakt zum Betroffenen aufnehmen und gemeinsam mit ihm nach einer Erklärung und Lösung suchen.

Hilfe verspricht auch die Stadt Norderstedt. "Herr Ramcke sollte sich umgehend bei uns melden, wenn die Scheine wieder auftauchen", sagt Rathaussprecher Hauke Borchardt. Er solle die Tippzettel liegen lassen, wo sie sind und das Norderstedter Ordnungsamt informieren. Die Mitarbeiter würden dann ausrücken und versuchen, die Ursache zu ergründen.