Am Beckersbergring in Henstedt-Ulzburg sollen 97 Reihenhäuser durch neue Häuser und Wohnblocks ersetzt werden

Henstedt-Ulzburg. Vor 57 Jahren war es die damals größte Wohnungsbaustelle für junge Familien in Schleswig-Holstein, in zwei Jahren wird es vermutlich die größte Wohnungsabrissstelle des Landes: Mit einer spektakulären Aktion sollen 97 Reihenhäuser am Beckersbergring abgerissen werden, weil sie nach Ansicht des Eigentümers, der Soka-Bau in Wiesbaden, stark sanierungsbedürftig sind. Gleichzeitig wird die gesamte Siedlung wieder aufgebaut – allerdings sollen an dieser Stelle nicht nur Reihenhäuser, sondern auch Wohnblocks entstehen.

Seit fast 40 Jahren wohnt Ingrid Kowtun in ihrem kleinen Reihenhaus am Beckersbergring. Heute ist sie 92 Jahre alt und damit die älteste Bewohnern der Reihenhaussiedlung. Sie genießt die Ruhe in ihrer Umgebung: Motorengeräusche dringen höchstens von der Hamburger Straße herüber, in der Reihenhaussiedlung können die Kinder noch auf der Straße spielen, weil hier nur Anlieger fahren. Mitten in Henstedt-Ulzburg, im belebten Ortsteil Ulzburg, bildet diese Siedlung eine Enklave und eine fast geschützte Einheit, in der sich die Bewohner kennen.

Für Ingrid Kowtun ist der Gedanke an einen Abriss gar nicht so abwegig: „Ich kann mit den Plänen umgehen“, sagt sie. „Jede Veränderung bringt schließlich auch etwas Gutes mit sich.“ Fest steht für sie jedoch: „In die dritte Etage will ich auf keinen Fall ziehen.“

So gelassen wie die älteste Bewohnern sehen es die meisten anderen Menschen aus dem Beckersbergring nicht. Einige haben sich bereits an den Mieterverein Norderstedt gewandt, andere überlegen, ob sie einen Beirat als Schnittstelle zwischen Mieter und Vermieter gründen.

Die Ankündigung des Massenabrisses von Reihenhäusern hat viele überrascht. Denn erst vor gut 20 Jahren waren die Häuser aufwendig renoviert worden, viele Bewohner haben zusätzlich auf eigene Kosten saniert. Für manche kommt die Entscheidung der Soka-Bau jedoch nicht wie aus heiterem Himmel: Schon in den vergangenen Jahren hatte der Eigentümer versucht, sich von Häusern zu trennen und sie zum Verkauf angeboten. Zum „Vorzugspreis“ von rund 125.000 Euro konnten die durchschnittlich 80 Quadratmeter großen Häusern gekauft werden. Offenbar hatte die Offerte keinen großen Erfolg: Von den insgesamt 116 Reihenhäusern sind drei im Besitz der Bewohner. Sie gehören zu den 19 Häusern, die nicht abgerissen werden. Alle übrigen Mieter zahlen für die Häuser eine Kaltmiete von 800 Euro. Zur Ausstattung gehören Vollkeller, Gäste-WC, überdachte Terrassen und gemauerter Geräteschuppen. Im Gegensatz zu anderen Reihenhäusern ist die Schallisolierung zu den jeweiligen Nachbarhäusern nicht gut: Die Häuser sind hellhörig. Während der heftigen Regenfälle im Dezember 2014 drang in einige Häuser Wasser durch Kellerfenster und -wände.

Die Soka-Bau, die eine ähnlich spektakuläre Abriss- und Neubauaktion bereits 2009 in Schenefeld (Kreis Pinneberg) durchgesetzt hat, geht verhältnismäßig offen mit ihren Plänen um. Es gab eine Informationsveranstaltung in der Aula des Alstergymnasiums, außerdem wurde die Presse bereits vorab informiert. „Eine umfassende Erneuerung der Reihenhaussiedlung ist notwendig geworden, weil auch durch umfassende Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen kein zeitgemäßer Wohnungsstandard mehr zu erzielen ist“, sagt Soka-Bau-Vorstand Wolfgang Koberski. Er kündigt einen Abriss „nicht vor 2017“ an. Vorgesehen ist eine Neubebauung in vier Stufen, um eine Umsetzung der Mieter und einen Einzug in eine neue Wohnung oder ein neues Reihenhaus zu ermöglichen. Vorgesehen seien 35 Prozent Reihenhäuser, 65 Prozent Geschosswohnungen. Die Bewohner der Reihenhäuser und der Erdgeschosswohnungen sollen weiter die Gärten nutzen können. Pressesprecher Sven Jäger kündigt an, dass bei den Neuvermietungen die langjährigen Mieter bevorzugt behandelt werden.

Wohl ist den meisten Mietern bei dem Gedanken an die gewaltigen Abriss-, Neubau- und Umsetzungsaktionen allerdings nicht. Ihnen ist klar, dass sie einige Jahre auf einer Großbaustelle leben müssen. Viele haben auch Angst vor einer Explosion der Mietpreise. „Wir wollen die Soka-Bau überzeugen, weniger Geschossfläche, sondern mehr Reihenhäuser zu bauen“, sagt Jens Daberkow, 46. Er gehört zu den Mietern, die einen Beirat gründen wollen.

Alleine kann die Soka-Bau ihre Pläne nicht umsetzen. Das Unternehmen ist auf die Unterstützung der Gemeinde Henstedt-Ulzburg angewiesen: Die Politiker müssen einen Bebauungsplan beschließen – angesichts der derzeit heftigen Diskussionen um die innerörtliche Bebauung könnte das ein heikles Unterfangen sein. „Die Politik steht den Plänen sicher offen gegenüber“, sagt Horst Ostwald, SPD, Vorsitzender des zuständigen Umwelt- und Planungsausschusses. „Ein offizielles Gespräch ist jedoch noch nicht geführt worden.“ Er selbst hält eine „positive Erneuerung“ im Ortszentrum für durchführbar. „Vorausgesetzt allerdings, es gibt keine persönlichen Konsequenzen für die dort lebenden Menschen.“