Arved Dorst aus Norderstedt ist Schleswig-Holsteins Überflieger bei der Chemie-Olympiade

Wenn Arved Dorst, 16, von der Hückel-Theorie spricht, geschieht dies mit einer Selbstverständlichkeit und Beiläufigkeit, als ob er beim Drive-in einer Fast-Food-Kette Burger und Fritten bestellt. Sicherlich könnte Arved Dorst – mit ein wenig Bearbeitungszeit – auch erklären, was Burger und Fritten im Innersten zusammenhält. Denn ganz gleich ob Hückel-Theorie oder Bulette – Arved Dorst ist Chemiker aus Leidenschaft. Seine Welt ist ein Periodensystem.

Naturwissenschaftlich mittelmäßig bis minder begabte Menschen hören Dorst zu und verstehen gar nichts, erinnern sich maximal daran, wie gut es sich damals in der Oberstufe anfühlte, das Fach abzuwählen. „Also, mit der Hückel-Theorie lässt sich bestimmen, ob es sich bei einer chemischen Verbindung um ein aromatisches Molekül handelt oder nicht“, erklärt Dorst. Aromatisches Molekül? Geht es hier darum, ob etwas stinkt oder nicht? Es heißt doch immer: Chemie ist, wenn es stinkt und kracht.

Dorst wirft die Stirn in Falten. Wie soll er seinem ahnungslosen Gegenüber nur klarmachen, dass Aromaten oder auch Arene eine wichtige Verbindungsklasse in der organischen Chemie sind, die sich durch eine besondere Bindungsstruktur auszeichnen, nämlich planare, cyclische Moleküle mit konjugierten Doppelbindungen sind und – wenn sie die Aromatizitätskriterien erfüllen – über besonders günstige Energieniveaus verfügen und dass der Begriff Aromat nicht grundsätzlich auf ein besonderes Aroma dieser Substanzen hindeutet, sondern historisch begründet ist?

Wer Chemie geschnallt hat, ist automatisch Teil einer Elite

Aussichtslos. Womit wir beim Grundmissverständnis zwischen Chemikern und dem Rest der Welt wären. Weil die einen sich und was sie tun nicht so richtig erklären können, glauben die anderen, Chemie sei immer noch so eine Art komplexe Geheimwissenschaft für Super-Gehirne. Darin hingegen liegt eine große Chance für alle, die Chemie so richtig gut schnallen. Man ist automatisch Teil einer Elite.

Arved Dorst hat das mit 16 Jahren schon geschafft. Der Norderstedter aus der 10. Klassenstufe am Gymnasium Harksheide hat sich als einziger schleswig-holsteinischer Schüler für die nächste Runde zur 47. Internationalen Chemie-Olympiade qualifiziert. In der ersten Runde des bundesweiten Wettbewerbs hat sich Dorst unter 1715 Schülern durchgesetzt – so viele Schüler hatten noch nie zuvor in der über vierzigjährigen Geschichte des Wettbewerbs teilgenommen. In der zweiten Runde standen mit Arved noch 1341 Schüler im Wettbewerb. Nur er und 360 andere Jugendliche hatten Antworten auf alle Fragen eingereicht. Und nun ist Arved einer von 60 Schülern bundesweit, die auch mehr als 70 Prozent dieser Aufgaben richtig beantwortet hatten. Chapeau!

„Das ist eine in jeder Hinsicht außergewöhnlich gute Leistung“, sagt Dr. Sabine Nick vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik an der Universität Kiel, das den Wettbewerb ausrichtet. „Denn Arved Dorst ist schließlich erst in der 10. Klasse. Die übrigen Teilnehmer sind ausnahmslos Oberstufenschüler.“

Damit Arved Dorst da mithalten kann, muss er sich Wissen aneignen, das er im Chemie-Unterricht der 10.Klasse nicht bekommt. „Nein, in den Lehrbüchern, die ich derzeit im Unterricht bearbeite, habe ich nichts zu den Fragen gefunden, die die Aufgaben bei der Olympiade aufwarfen“, sagt Dorst. „Doch in der ersten und zweiten Runde des Wettbewerbes sind ja der Einsatz von Internet und Fachliteratur erlaubt. Dorst verabschiedet sich also in seiner Freizeit in die virtuelle Welt, stößt dort auf chemische Wissensquellen, doch was dort herausblubbert kann selbst er nicht immer auf Anhieb verstehen. Dann helfen Erläuterungen im Netz, der Chemie-Lehrer im Gymnasium oder Mama. „Meine Mutter ist Chemikerin“, sagt Dorst. Irgendwo muss der Junge das ja her haben.

Dieses Büffeln für die Olympiade, neben den nötigen Anstrengungen für die Schule, ist keine Belastung für Dorst. „Die Chemie hat diese gewisse Logik. Die macht mir einfach Spaß. Niemand kann wirklich gut in etwas sein, wenn er keinen Spaß daran hat.“ Zur Olympiade hat er sich aus freien Stücken angemeldet. Nicht, weil ihn irgendwer dazu gedrängt hätte.

Wer sich nun fragt, was genau Arved Dorst in der zweiten Runde der Olympiade an Aufgaben zu bewältigen hatte, dem kann Sabine Nick das vorsichtig so erklären: „Neben einem chemischen Rätsel, indem anhand vielfältiger Informationen eine anorganische Verbindung gefunden werden musste, gab es eine Aufgabe aus dem Bereich der Organischen Chemie: Hier mussten Zwischenverbindungen eines Syntheseschemas identifiziert werden. Besonders herausfordernd war in dieser Teilaufgabe die Interpretation eines 1H-NMR-Spektrums, das die Signale zweier isomerer Verbindungen beinhaltete. Die dritte Aufgabe beschäftigte sich mit der Hückel-Theorie, und es musste beispielsweise die Stabilität von cyclischen Verbindungen vorhergesagt werden. In der vierten Aufgabe mussten verschiedene Berechnungen zur Disproportionierung von Kupfer durchgeführt werden.“

Büffeln, büffeln, büffeln – und vielleicht National-Chemiker werden

Mit den 60 anderen Jugendlichen aus 14 Bundesländern trifft sich Arved Dorst nun zwischen dem 3. und 10.März in Göttingen zur dritten Runde. Neben Vorträgen und Übungen werden zwei fünfstündige Klausuren geschrieben. „Und Internet ist dieses Mal nicht erlaubt“, sagt Dorst. Das heißt: Büffeln, büffeln und noch mal büffeln. Dorst hat sich ein Trainingsprogramm auferlegt.

Wer die dritte Runde schafft, kommt als einer von 15 in die vierte, und aus diesen 15 rekrutiert sich dann das vierköpfige Deutsche Nationalteam, das zur 47. Internationalen Chemie-Olympiade im Juli nach Baku in Aserbaidschan reist. Deutschland hat im vergangenen Jahr beim Finale in Hanoi immerhin je einmal Gold und Silber sowie zweimal Bronze abgeräumt.

Dorst bleibt realistisch, was seine Chancen angeht, National-Chemiker zu werden. „Die ostdeutsche Konkurrenz in der dritten Runde ist doch sehr stark. Die sind einfach besser als wir hier. Das muss sich man ganz klar eingestehen.“ Mag sein, dass er bei den Chemie-Olympiaden in den kommenden Jahren noch weiterkommt. „Doch eigentlich sind mir auch die Vorbereitungen auf das Abitur dann wichtiger“, sagt Dorst. Müßig zu erwähnen, dass Dorst auch in anderen Fächern ein Überflieger ist.

Die Chemie aber wird wohl sein Lebensthema werden. „Obwohl ich, was das Studium angeht, noch zwischen Chemie und Informatik schwanke.“ Egal, für welche Richtung sich der 16-jährige entscheiden wird – seine Berufsaussichten sind blendend. Die Industrie lechzt nach fähigen Chemikern und plietschen Programmierern.