Henning Scherf, Spezialist für altersgerechtes Wohnen, hielt in Ellerau einen engagierten Vortrag über neue Wohnformen

Ellerau. „Ich bin an Ihren Fragen heftigst interessiert und freue mich über jede Unterbrechung“, eröffnete Henning Scherf die Gesprächsrunde im Ellerauer Bürgerhaus zum Thema alternative Wohnformen. Eine parteiübergreifende Arbeitsgruppe hatte den ehemaligen Bremer Bürgermeister, SPD-Mann und Spezialist für altersgerechtes Wohnen zur Diskussion gebeten, um sich Anregungen und Ideen für alternative Wohnformen für Ellerau zu holen.

Die Gesprächsrunde hat bereits mehrmals getagt, wie Elleraus Bürgermeister Eckhard Urban mitteilte, und wolle positive Wohn-Aspekte in Ellerau, aber auch Defizite aufdecken. „Wir wollen erst einmal gucken, was möglich ist und Ideen sammeln, später holen wir uns Profi-Beratung und beteiligen alle Ellerauer Bürger“, sagte Urban. Bis 2030 wolle die Arbeitsgruppe ein schlüssiges Konzept für alternatives Wohnen im Ort vorlegen.

Henning Scherf zeigte sich von dem Ansatz sofort begeistert. Ohnehin strotzt der Mann nur so vor positiver Energie und zog die mehr als 110 Zuhörerinnen und Zuhörer im Ellerauer Bürgerhaus sofort in seinen Bann.

„Der demografische Wandel ist die größte Herausforderung unserer Zeit“, sagte der 76-Jährige. Die Menschen würden heute 30 Jahre länger leben als noch vor zwei Generationen. Und sie seien gesund und fit. „Die Planer von Pflegeheimen müssen umdenken, sie rechnen linear, aber wer jetzt alt wird, ist auch fit und muss nicht im Heim gepflegt werden“, sagte Scherf. Die Pflegebedürftigkeit der Menschen würde künftig nur noch ein Jahr betragen.

Außerdem ginge der Trend klar weg vom Wohnen auf der grünen Wiese hin zum Leben in der Stadt. Immer mehr ältere und alte Menschen würden nach ihrer Berufstätigkeit ein erhöhtes Interesse an Kultur entwickeln und wollten sich aktiv und ehrenamtlich in die Gemeinschaft einbringen.

Auch in Kommunen auf dem Land müsse nicht auf der grünen Wiese neu-, sondern im Ort umgebaut und Leerstände kreativ genutzt werden. Besonders müsse auf eine barrierefreie Mobilität gepocht werden, beispielsweise für Rollator- und Rollstuhlnutzer.

„Die Alten wollen mitmachen und mitgestalten, und es ist doch nichts schöner, als wenn sie die Kinder beaufsichtigen, während deren Eltern arbeiten“, sagte Scherf. „Wer Alte auf ihre Defizite reduziert, verschenkt ihr Wissen und ihre Erfahrung“, sagte Scherf und verwies darauf, dass zwar die Menschen immer älter werden würden, aber auch immer weniger Kinder geboren werden.

„Wir müssen uns insgesamt auf eine andere Zusammensetzung der Gesellschaft einstellen“, sagte Scherf. Es gebe immer mehr alte und immer weniger junge Menschen, und gerade das würde auch ein Umdenken im Bereich der Entwicklung von Städten und Kommunen erfordern. „Die Sozialkassen sind überfordert, und für Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser müssen wir andere Formen finden“, forderte Scherf und brach diese Forderung auf Gemeinden wie Ellerau herunter.

„Wie kann man in einer Gemeinde auf die sich veränderten Lebensstrukturen Antworten entwickeln, ohne dass es zum Crash kommt?“, fragte Scherf und legte nach, dass von 40 Millionen Wohnungen in Deutschland nur 800.000 altersgerecht seien. 50 Prozent seien Single-Haushalte und davon wiederum der größte Teil alte Menschen, die aber fit seien und ihre Umwelt aktiv mitgestalten wollten.

Für eine gesunde Infrastruktur empfiehlt der Autor vieler Bücher rund um Wohnformen im Alter unter anderem das generationsübergreifende Wohnen, bei dem auch Kindergärten entstehen sollten. Die Menschen wollten in vertrauter Nachbarschaft leben und sich entfalten. Dazu gehörten in unmittelbarer Nachbarschaft von Wohnungen auch Geschäfte und Handwerksbetriebe bis zu kleinen Reparaturwerkstätten, die von alten Menschen betrieben werden. Lange Wege würden lange Anfahrten erfordern, die aber würden wertvolle Lebenszeit kosten.

Eine große Herausforderung sei indes die Altersarmut. „Aber es gab auch noch nie so viel Geld in Rentnerhand wie heute“, sagte Scherf . „Wer aber seine Miete nicht zahlen kann, muss von der Gemeinschaft integriert werden“, forderte der SPD-Politiker.

Die Kommunalpolitik müsse sich mit Trägern und Institutionen wie Stiftungen verbünden, um alte Gebäude zu sanieren, zu erneuern und den Erfordernissen der neuen Altersstruktur anzupassen.

„Bauen Sie ein Netzwerk für die Gestaltung von alternativen Lebens- und Wohnformen auf“, riet Scherf den Ellerauern. Politik und Verwaltung einer Kommune könnten Türen öffnen zu Projekten, die von den Bürgern umgesetzt werden. „Bauen Sie keine großen Anlagen neu, gucken Sie erst einmal, was leer steht und wie die Mitte der Kommune im Sinne altersgerechten Wohnens neu belebt werden kann“, sagte Scherf.