Norderstedter Amtsgericht ist überzeugt, dass der Mediziner fahrlässig den Tod einer Patienten verschuldet hat

Henstedt-Ulzburg. Der frühere Chefarzt der Chirurgie in der Henstedt-Ulzburger Paracelsus-Klinik wurde am gestrigen Mittwoch für schuldig befunden, fahrlässig den Tod einer Patienten verschuldet zu haben. Richter Jan Willem Buchert verurteilte den Mediziner zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten und einer Geldstrafe von 8000 Euro. Die Haftstrafe wird für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Der Arzt und sein Anwalt wollen in den nächsten Tagen entscheiden, ob sie gegen das Urteil Berufung einlegen.

An zwei Prozesstagen wurde versucht, einen medizinischen Fall zu klären, der bereits dreieinhalb Jahre zurückliegt. Der chirurgische Chefarzt leitete im Juni 2011 eine Operation, an deren Ende der Tod der 67 Jahre alten Mexikanerin Graciela D. aus Kaltenkirchen stand. Sie war mit Schmerzen im Oberbauch in die Klinik eingeliefert worden, wo anhand einer Sonografie eine Leberzyste entdeckt worden war. Bei der Notoperation kam es zu Blutungen, die das Team um den Chefarzt nicht stoppen konnte.

Nach einer Verlegung in die Hepatobiliären Chirurgie der Uni-Klinik Eppendorf wurde sie von den dortigen Fachärzten mehrfach operiert, wobei die Leber schließlich entfernt werden musste. Bevor es zu einer Transplantation kam, verstarb die Patientin an Kreislaufversagen.

Während des zweiten Prozesstages wurde deutlich, dass in der Paracelsus-Klinik Fehler gemacht wurden. Und das nicht nur während der Operation. Nach Einschätzung des Gutachters Professor Karl-Jürgen Oldhafer, Chefarzt der Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie in der Asklepios-Klinik Barmbek, hätte der operierende Arzt nicht auf eine zusätzliche Computer-Tomographie verzichten dürfen, um die Komplikationen einschätzen zu können. Dafür wäre seiner Ansicht ebenso Zeit gewesen, wie für eine Verlegung der Patientin. „Durch eine zusätzliche Diagnostik hätte man den Schwierigkeitsgrad der Operation erkennen können.“ Denn um eine solche Operation durchführen zu können, müsse ein kompetentes Team zusammengestellt werden. Das sei hier nicht der Fall gewesen. Ein Verschluss der linken Lebervene habe zu einem Blutaufstau geführt. Oldhafers Urteil: „Das Team war nicht in der Lage, diese Problematik zu händeln.“

Am ersten Prozesstag hatte der Angeklagte erklärt, für eine zusätzliche CT-Diagnostik habe die Zeit gefehlt, einen Transport habe er für zu gefährlich gehalten. Der Sachverständige sagte dagegen, dass für eine Diagnostik genügend Zeit vorhanden gewesen wäre, auch ein Transport wäre seiner Ansicht nach nicht gefährlich gewesen, da das Aufplatzen einer Zyste unwahrscheinlich sei. In der Uni-Klinik stellte Professor Lutz Fischer fest, was alles schiefgegangen war. Vor Gericht sprach er von zwei partiell fehlenden Lebersegmenten und falsch gesetzten Operationsnähten. Die Leber sei hochgradig traumatisiert gewesen.

Im Laufe des zweiten Prozesstages kamen weitere Auffälligkeiten zur Sprache: Im Operationssaal war das richtige Nahtmaterial nicht ausreichend vorhanden, die Kamera für die Fotodokumentation musste erst während der Operation besorgt werden und wurde dann unsterilisiert durch die Schleuse in den Saal gereicht. Außerdem wurde die Patientin nicht ausreichend aufgeklärt: Diese Arbeit übernahm ein Assistenzarzt, der aber offenbar selbst nicht genügend über den Fall informiert war.

Dem Angeklagten habe es an kritischer Selbsteinschätzung gefehlt, sagte Anklagevertreter Thies Truelsen. „Er hätte die Einsicht haben müssen, den Fall erfahreneren Kollegen zu überlassen.“ Oliver Tolmein, Rechtsanwalt der Tochter und des Sohnes der Verstorbenen, die vor Gericht als Nebenkläger auftraten, machte deutlich, dass die Leber in der Paracelsus-Klinik komplett zerstört worden sei. Die Patientin sei in einer Sicherheit gewiegt worden, in der sie aber nie gewesen sei. Er wirft dem ehemaligen Chefarzt, der jetzt in gleicher Tätigkeit in einer Klink im Landkreis Prignitz tätig ist, Fehler bei der OP-Planung vor. Er forderte eine zwölfmonatige Freiheitsstrafe. Gerd Klier, der Anwalt des Angeklagten, plädierte auf Freispruch, da der Chefarzt die Operation tatsächlich abgebrochen habe und die Gefahren eines Transportes nicht nur von ihm alleine gesehen worden seien.

Amtsrichter Buchert schloss sich mit dem Urteil der Forderung des Staatsanwaltes an. „Ich hätte es gut gefunden, wenn sie ihre Fehler eingestanden hätten“, sagte er in seiner Urteilsbegründung. „Es liegt aber offenbar in ihrer Persönlichkeit, dass sie die Schuld anderen geben.“ Als Hauptgründe für die Schuld des Angeklagten sieht er den Verzicht auf die Computer-Tomographie, den Verzicht auf eine sofortige Verlegung der Patientin nach Öffnung der Bauchdecke sowie handwerkliche Fehler beim Versuch, die Blutungen zu stoppen. Alles sei vermeidbar gewesen, aber der Chefarzt habe sich selbst überschätzt.

Für den verurteilten Arzt sieht die Zukunft möglicherweise düster aus. Er geht davon aus, dass der Aufsichtsrat der Klinik, in der er jetzt Chefarzt ist, ihn nach diesem Urteil entlässt.