Ein Routineeingriff in der Paracelsus-Klinik endete mit dem Tod der Patientin. Ärzte konnten Blutungen nicht stoppen

Henstedt-Ulzburg. Hat der Chefarzt seine Möglichkeiten überschätzt? Wurde ein falsche Diagnose gestellt? Oder ist alles eine Verkettung unglücklicher Umstände? Vor dem Norderstedter Amtsgericht muss sich seit Montag der ehemalige chirurgischer Chefarzt der Henstedt-Ulzburger Paracelsus-Klinik wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Er hatte vor dreieinhalb Jahren eine Frau operiert, um ihr eine Leberzyste zu entfernen – aber es kam während der Operation zu Komplikationen, sodass die Frau in eine Spezialabteilung der Uni-Klinik Eppendorf verlegt werden musste, wo sie wenig später starb. Die Ermittlungen wurden von der Staatsanwaltschaft eingeleitet.

Mit starken Schmerzen im Oberbauch wurde die 67 Jahre alte Gabriele D. aus Kaltenkirchen im Juni 2011 in die Paracelsus-Klinik eingeliefert, wo anhand einer Sonografie eine Leberzyste mit starken Blutungen diagnostiziert wurde. „Der Angeklagte hätte erkennen müssen, dass er nicht genügend Erfahrungen für eine solche Operation besitzt“, sagte der Anklagevertreter, Oberamtsanwalt Thies Truelsen. Die Blutstauung in der Leber sei nicht mehr zu beherrschen gewesen. Der ehemalige Chefarzt, der von der Paracelsus-Klinik sofort nach dem Vorfall suspendiert wurde, stellte vor Gericht klar, dass er im Laufe seiner Tätigkeit mehrfach Leberoperationen durchgeführt habe, er also nicht unerfahren gewesen sei. Auf die Nachfrage von Richter Jan Willem Buchert, wie erfahren er denn sei, sagte der Arzt: „Ich kann keine Leber transplantieren, ich traue mir aber zu, Lebermetastasen zu entfernen.“ Außerdem habe er mehrere Fortbildungen mitgemacht.

In der Hepatobiliären Chirurgie der Uni-Klinik Eppendorf sitzen die größeren Experten, einen Transport dorthin aber wollte er nicht riskieren, weil er um das Leben der Patientin fürchtete. „Wenn ich gewusst hätte, was passiert, hätte ich mich allerdings sofort für eine Verlegung entschieden.“

Die Operation in Henstedt-Ulzburg begann undramatisch, dann kam es zu Komplikationen. Die Blutungen wurden heftiger, der Blutdruck sackte ab, Chefanästhesistin Dr. Eike Thieme musste fünf der bereitgestellten Blutkonserven einsetzen, um den Kreislauf zu stabilisieren. Vor Gericht sagte der Chirurg, der jetzt an einem Kreiskrankenhaus in Prignitz tätig ist, er sei nicht in der Lage, zu erklären, warum es während der Operation zu den starken Blutungen gekommen war. Das wurde erst später geklärt: Laut Gutachten soll es durch einen Venenverschluss zu Blutungen in der Leber gekommen sein. Der Angeklagte beteuerte, dass es unabsichtlich zum Verschluss gekommen sei. Als Zeugin sagte Anästhesistin Thieme aus, sie habe bereits während der Operation dazu geraten, die Patientin zu verlegen. Auch Dr. Dirk Seeler, Chefarzt der internistischen Abteilung, sagte am Montag vor Gericht als Zeuge aus. Er habe den Eingriff zunächst ebenfalls als Routineoperation angesehen. Seeler hatte die sonografische Untersuchung gemacht.

Letztlich wurde die Patientin nach Eppendorf verlegt, wo ihr aber trotz mehrfacher Operationen nicht mehr geholfen werden konnte. Die Leber wurde entfernt, eine neue sollte transplantiert werden. Aber die Patientin erlebte diesen Eingriff nicht mehr. Sie starb am Tage nach der Operation in der Paracelsus-Klinik. Ihre Tochter und ihr Sohn waren entsetzt über das Geschehene. „Am Telefon hatte mir ein Arzt der Paracelsus-Klinik erklärt, es handele um einen einfachen Eingriff, eine Routineoperation.“ Ihre Mutter sei gesund, fit und lebenslustig gewesen, sie habe sich gerade ein Haus in Mexiko, ihrem Geburtsland, gekauft. Ihre Tochter und ihr Sohn treten vor Gericht als Nebenkläger auf.

Die Operation und die Folgen werfen weitere Fragen auf. In der Uni-Klinik wurde fehlendes Lebergewebe festgestellt – der Angeklagte hat keine Erklärung dafür. In der Patientenakte gibt es keine Fotodokumentationen, obwohl üblicherweise auch das entfernte Gewebe fotografiert wird. Eine Antwort, warum diese Fotos nicht vorhanden sind, sollen am morgigen Mittwoch möglicherweise weitere Zeugen, die während der Operation anwesend waren, geben. Um 9 Uhr wird der Prozess im Saal F des Norderstedter Amtsgerichts fortgesetzt.

Eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit dem chirurgischen Chefarzt gab es nach dem Vorfall nicht mehr. Gleich am nächsten Tag gab es eine Krisensetzung, in deren Verlauf beschlossen wurde, den Arzt freizustellen. Mit sofortiger Wirkung wurde der Arzt, der vor Gericht allgemein auf eine damals schlechte Stimmung in der Klinik im Henstedt-Ulzburger Krankenkaus hinwies, suspendiert. Während des Prozesses sprach er am Montag der Tochter und dem Sohn der Verstorbenen sein Beleid und Bedauern über den Tod der Mutter aus. Er habe nach dem Vorfall keinen Kontakt zu ihnen aufnehmen dürfen.