Trotz Notfall-Status bekam eine Norderstedterin keinen Termin beim Hautarzt und musste deswegen eine wichtige Operation in der Heidberg-Klinik absagen

Die Operation macht der Kassenpatientin Stefanie Plewka, 64, Angst. Sie soll eine Y-Prothese an ihrer Aorta eingepflanzt bekommen. „Ich leide unter Durchblutungsstörungen an den Beinen, kann nur noch kurze Wege gehen ohne Schmerzen“, sagt die Norderstedterin. Unheimlich ist ihr der große Eingriff am offenen Bauchraum. Gleichzeitig verbindet sie ihre Hoffnung auf mehr Lebensqualität mit der Operation. Umso fassungsloser ist Stefanie Plewka nun, dass der Termin für die Operation am Asklepios-Klinikum Heidberg am 28. Januar geplatzt ist. Wegen einer Lappalie – und dem Umstand, dass die Wartezeiten in Norderstedter Facharztpraxen offenbar bis zu drei Monate betragen.

Die behandelnde Ärztin am Heidberg-Klinikum hatte eine eitrige Stelle am Fuß von Stefanie Plewka moniert. Das müsse abgeklärt werden vor der Operation. „Da das Heidberg-Klinikum keine hautärztliche Abteilung hat, sollte ich mir in Norderstedt einen Hautarzt suchen, der mich vor dem 28. Januar noch untersucht“, sagt Plewka. Ein aussichtsloses Unterfangen, wie sich herausstellte. „Die erste Praxis bot mir einen Termin im April an. Es half auch nichts, dass ich von dem OP-Termin berichtete.“ Ähnliche Termin-Angebote bekam die 64-Jährige bei den übrigen Praxen. Sechs davon in Norderstedt und der näheren Umgebung telefonierte Plewka ab – ohne Erfolg. Schließlich klapperte sie die Ärzte in Hamburg ab. Ein Hautarzt im Hamburger Süden gab ihr schließlich den frühest möglichen Termin: am 30. Januar.

„Die Ärztin im Heidberg-Klinikum fiel aus allen Wolken, als ich ihr sagte, dass das mit dem OP-Termin nichts wird.“ Weiterhelfen, etwa mit einem Gespräch beim Facharzt, konnte die Klinikärztin ihrer Patienten aber auch nicht. Stattdessen wurde die OP nun einfach verlegt, auf den 9. Februar.

Stefanie Plewka fühlt sich alleingelassen in den Untiefen des deutschen Gesundheitssystems und kann über die Gründe für die in ihrem Fall gescheiterte Terminvergabe nur mutmaßen – denn Antworten auf das Warum hat sie nicht bekommen. „Wie kann es sein, dass Fachärzte ihre Praxen so mit Patienten voll knallen, dass sie noch nicht mal mehr Notfälle wie mich behandeln können?“, fragt sich Plewka. „Außerdem habe ich den Eindruck, dass die Sprechstundenhilfen von vorne herein abblocken. Vielleicht erfährt der Arzt gar nichts von der Situation.“ Ganz zu schweigen davon, dass sie eben nur Kassen- und nicht Privatpatientin ist. Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, dass es bald nicht mehr vom Ermessen der Sprechstundenhilfen oder dem Versicherungsstatus abhängt, wann Patienten einen Termin beim Facharzt bekommen. Mit dem neuen Versorgungsstärkungsgesetz, das voraussichtlich im Sommer in Kraft treten wird, werden die Kassenärztlichen Vereinigungen künftig verpflichtet, Servicestellen einzurichten, die innerhalb eines Monats Facharzt-Termine vermitteln. Wenn das nicht möglich ist, muss eine Weiterbehandlung im Krankenhaus organisiert werden.

Dass Stefanie Plewka in Norderstedt als Notfall keinen Termin bekommen hat, verwundert Marco Detlefsen, den Sprecher der kassenärztlichen Vereinigung in Schleswig-Holstein. Denn als Notfall mit OP-Termin muss sie behandelt werden, ganz gleich, wie voll die Praxis ist. „Ich kann aber nicht ausschließen, dass manche Ärzte die Patienten aus den falschen Gründen ablehnen – etwa weil sie für die Behandlung kein Geld mehr bekommen.“ Damit meint er das Phänomen, dass Ärzte nach Ausschöpfen des festgeklopften Quartals-Budgets Patienten quasi zum Nulltarif behandeln. Was auch dazu führt, dass Ärzte Privatpatienten bevorzugt nehmen, um so den Einnahmeausfall auszugleichen.

Für die Norderstedter Fachanwältin für Medizinrecht, Melanie Holthus, grenzt das an strafrechtliche Tatbestände. „Die Ärzte sind verpflichtet, die Patienten und gerade Notfälle zu behandeln. Das ist keine Frage von Budgets oder des Profits einzelner Facharztpraxen, sondern eine Frage der Daseinsvorsorge und der bestmöglichen Behandlung von kranken Menschen.“ Kein Arzt könne sich mit Verweis auf die Auslastung oder das überschrittene Budget aus der Verantwortung stehlen. „Rosinenpickerei darf es nicht geben. Allein schon aus Haftungsgründen“, sagt Holthus. Denn kein Arzt kann abschätzen, wie gravierend die Abweisung eines Patienten sich auf dessen Krankheitsverlauf auswirken könnte.

Marco von Detlefsen rechnet nicht damit, dass sich an der Situation durch das neue Versorgungsstärkungsgesetz irgendetwas ändern wird. „Das ist eine Phantomdiskussion. Da wird eine Erwartungshaltung bei den Bürgern geschürt, die nicht eingehalten werden kann.“ Der Bürger glaube, er bekomme dann grundsätzlich innerhalb von vier Wochen einen Termin. Doch die Servicestellen würden nicht für die Vergabe von Vorsorgeterminen oder Bagatelle-Fälle eingerichtet. „Wobei sich hier die Frage aufdrängt: Wer definiert das dann eigentlich?“ Ebenso werde durch die zentrale Terminvergabe nicht das Problem des regionalen Fachärztemangels gelöst. „In überversorgten Gebieten sollen wir noch dazu Praxen abbauen. Das ist absurd“, sagt Detlefsen.

Er favorisiert hingegen das Hausarzt-Prinzip. Damit wäre auch Stefanie Plewka im konkreten Fall besser aufgehoben gewesen. „Der Hausarzt stellt die dringliche Überweisung aus und ruft beim Facharzt an, mit dem er regelmäßig zusammen arbeitet“, sagt Detlefsen. „Das wäre allerdings auch das Ende der freien Arztwahl.“

Die Fachanwältin Holthus sagt, der Patient müsse im deutschen Gesundheitssystem die richtige „Tonstärke“ haben, um am Telefon sein Recht einzufordern. Stefanie Plewka ist ein ruhiger Mensch. Sie hat es nach dem Scheitern in der Praxis ihrer Wahl in Norderstedt mit einer E-Mail versucht. Dort schilderte sie ihren Fall nochmals genau, mit der Bitte um Rückruf. Dieser kam über eine Woche später. Mit dem Angebot eines Termins am darauf folgenden Tag.