Die jüdischen Autorinnen Peggy Parnass und Viola Roggenkamp lasen zum Holocaust-Gedenktag in der Rathaus-Buchhandlung

Norderstedt. Es waren sehr emotionale Momente, als Viola Roggenkamp aus ihrem Buch „Meine Mamme“ das Kapitel über Peggy Parnass „Macht doch nichts, dass du nicht hübsch bist“ las. Wohl zum ersten Mal hörte der Autorin auch die Frau zu, der sie das Kapitel widmete, und mit der sie eine Woche intensiv um das Interview gerungen hatte, um Frage und Antwort, um Erzählen und Zuhören, um Verstehen.

Zum Schluss gab es feuchte Augen und feste Umarmungen. Und dankbaren Applaus von 80 Zuhörerinnen und Zuhörern in der Buchhandlung am Rathaus, die zur Lesung „Tu mir eine Liebe – Meine Mamme“ mit den Autorinnen Viola Roggenkamp und Peggy Parnass und der Künstlerin Tita do Rego Silva gekommen waren.

Viola Roggenkamp hat in „Meine Mamme“ Erinnerungen an die Mütter unter anderem von Stefan Heym, Wladimir Kaminer bis zu Ilja Richter geschrieben (Fischer-Verlag, 9,95 Euro).

„Mit Peggy Parnass habe ich sehr gerungen“, sagt Viola Roggenkamp. Zu schmerzreich waren Peggy Parnass' Erinnerungen an ihre Mutter Hertha Parnass, die sie und ihren Bruder Gady im Februar 1939 in den letzten Zug ins rettende Schweden setzte. Sie sahen ihre Eltern Hertha und Simon Parnass, genannt Pudl, nie wieder. Sie wurden im KZ Treblinka ermordet.

„Mutti und Pudl haben weder Grab noch Grabstein. Nur drei Stolpersteine vor ihrer Wohnung in der Hamburger Methfesselstraße 13. Zwei Steine mit ihrem Namen drauf. Auf dem dritten Stein steht ‚Die Liebenden’. Weil sie sich ja so wahnsinnig geliebt haben“, schreibt Peggy Parnass im Kapitel „Kindheit“ ihres Buches „Unter die Haut“. Aus diesem Kapitel entstand das Kunstbuch „Kindheit – Wie unsere Mutter uns vor den Nazis rettete“, für das die brasilianische Künstlerin Tita do Rego Silva die Illustrationen als Holzschnitt machte.

„Ich sah Peggy immer von meinem Fenster aus und wollte sie unbedingt kennen lernen“, sagt do Rego Silva. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft und aus der wiederum entstand 2012 das Kunstbuch, das als eines der schönsten deutschen Bücher ausgezeichnet wurde.

Der Fischer-Verlag machte es möglich, das „Kindheit“ im kleinerem Format, aber nahezu ebenso brillant in den Farben, den markanten Konturen und im Ausdruck wieder aufgelegt konnte (Fischer Verlag, Die Bücher mit dem blauen Band, 14,99 Euro).

Gehört Peggy Parnass zur Generation der Holocaust-Überlebenden, so steht Viola Roggenkamp für die zweite Generation, wie sie eindrücklich in ihrem autobiografischen Roman „Familienleben“ (Verlag Arche, 440 Seiten) darstellt. Gleichwohl begibt sie sich auf Spurensuche und schreibt über die Schicksale jüdischer Familien mit feinem Einfühlungsvermögen und dem intuitiven Wissen um das Leid, das den Opfern durch Nazi-Deutschland zugefügt wurde.

Standen die drei Künstlerinnen anfangs noch wie Solitäre nebeneinander, so verflochten sie sich immer mehr zu einem Team. Tita do Rego Silva erzählt beispielsweise in dem Kunstbuch „Kindheit“ mit ihrer bildnerischen Umsetzung von Peggy Parnass’ Kindheit eine andere Sichtweise.

„Ich wollte zu der traurigen Geschichte unbedingt fröhliche Akzente setzen, ich kann keine Geschichten in tristen Farben erzählen“, sagt die Künstlerin. Gelb, Grün und Rot dominieren ihre Holzschnitte, in der alle Personen Tierköpfe tragen. Mit einer Ausnahme. Gady, der kleine Bruder von Peggy Parnass, hat ein Kindergesicht. „Peggy beschrieb ihn als blonden Engel, dem konnte ich kein Tiergesicht geben“, sagt do Rego Silva, die schräge Bilder liebt, Motive, die in der Tradition Brasiliens stehen, Motive, die Kinder begeistern und damit die Geschichte von Peggy Parnass den nächsten Generationen in spielerischer Weise nahe bringen. Damit die Leiden des Holocausts nie vergessen werden.

Die Lesung in der Buchhandlung am Rathaus war ein Benefiz für den Neubau des Norderstedter Frauenhauses. Aus dem Erlös des Eintritts und mit Spenden wurden 230 Euro erzielt.