Landwirte, deren Tiere beschlagnahmt wurden, kämpfen um ihr Recht. Die Staatsanwaltschaft schweigt weiter

Kreis Segeberg. Wenn Bernd Schilinsky die Stalltür öffnet, steht er vor einer Handvoll Rinder, die ihre Köpfe neugierig nach ihm ausstrecken. Ein friedlicher Anblick, aber der 63 Jahre alte Landwirt aus Kisdorf ist immer noch fassungslos, wenn er diesen Teil seines Hofes betritt: Die Rinder gehören nicht ihm, der Stall ist genauso verpachtet wie andere Teile des alten Hofes an der Kisdorfer Dorfstraße: Bernd Schilinsky darf keine Rinder mehr züchten. Damit gehört er zu jenen Landwirten in Schleswig-Holstein, deren Tiere beschlagnahmt worden sind. Aber der Kisdorfer setzt sich zur Wehr: Er spricht von Behördenwillkür und hat das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet. Dort liegt seit einiger Zeit eine Beschwerde von ihm, eingereicht von seinem Rechtsanwalt Helge-Marten Voigts aus Ratzeburg. Begründung: Die Tiere wurden ohne richterlichen Beschluss beschlagnahmt.

Bernd Schilinsky gehört zu den Tierhaltern in Schleswig-Holstein, deren Tiere auf Anordnung der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt worden sind. Anfang 2014 wurden rund 130 Rinder von seinem Hof abtransportiert und auf einen Hof nach Dithmarschen gebracht. Die Fälle gleichen sich: Das Veterinäramt stellt eine zumindest in Teilen unsachgemäße Tierhaltung fest und setzt eine Kette von Ereignissen in Gang: Auflagen, Kontrollen, Friststellungen für die Erfüllung von Auflagen, Einschalten der Staatsanwaltschaft, Abtransport der Tiere, die stets auf den Hof in Dithmarschen gebracht werden. Jede Seite pocht auf ihr Recht, es steht Aussage gegen Aussage.

Gegen die zuständige Staatsanwältin wird inzwischen wegen Rechtsbeugung ermittelt. Uwe Dreeßen, Sprecher der Staatsanwaltschaft Itzehoe, bestätigt, dass in einigen Fällen ein Ermittlungsverfahren gegen die Staatsanwältin eingeleitet wurde. Sie arbeitet bei der Kieler Staatsanwaltschaft, die wiederum nicht gegen eine eigene Mitarbeiterin ermitteln darf. Deshalb hat die Staatsanwaltschaft Itzehoe das Heft in der Hand. Für eine eventuelle Suspendierung hingegen ist die Staatsanwaltschaft Kiel zuständig – und die äußert sich nicht zu einem laufenden Verfahren. „Dazu machen wir keine Angaben“, sagt Birgit Heß, Sprecherin der Kieler Staatsanwaltschaft. Es darf spekuliert werden – und das wird in landwirtschaftlichen Kreisen eifrig getan.

Fast zeitgleich mit dem Fall des Kisdorfer Landwirts Schilinsky erlebte Dieter Scherrer aus Todesfelde sein Fiasko: 157 Rinder wurden bei ihm von einer Stunde auf die andere beschlagnahmt und abtransportiert. Sein Fall ging vor einem Jahr durch die Medien. Seitdem ist er nahezu mittellos: Tiere weg, aber trotzdem hohe Kosten, die er begleichen soll. Nach Aufforderung der Staatsanwaltschaft soll Scherrer 138.000 Euro Futterkosten für die beschlagnahmten Rinder zahlen (Januar bis Juni 2014), außerdem fordert das Finanzamt 22.000 Euro Einkommenssteuer für 2013 von ihm. „Ich habe aber nicht den Hauch einer Chance, Geld zu verdienen“, sagt der Landwirt aus Todesfelde. „Das ist für mich der Horror pur, ich bin finanziell am Ende.“ Inzwischen wurden seine Rinder notveräußert, aber sein Rechtsanwalt hat bisher vergeblich versucht, von der Staatsanwaltschaft zu erfahren, wie viel Geld dabei geflossen ist.

Der Hamburger Rechtsanwalt Thomas E. Abeltshauser spricht von „Amtsmissbrauch“. Er vertritt sieben betroffene Tierhalter in Schleswig-Holstein – seine Vermutung: „In allen Fällen war alles gut vorbereitet, meine Mandanten hatten keine Möglichkeit, irgendetwas zu überprüfen; die Kreisveterinärin hat den Tierhaltern eine abzuarbeitende Mängelliste überreicht und schon 24 Stunden später steht die Staatsanwältin auf der Matte.“ Der Anwalt glaubt, dass dahinter zum Teil „überzogene Wertvorstellungen vom Tierschutz, aber eventuell auch persönliche Eitelkeiten stecken“. Abeltshauser scheut auch nicht davor zurück, den Verdacht der Korruption anzusprechen: Beim Abtransport von Rindern sei stets ein und derselbe Fuhrunternehmer beauftragt, die Tiere seien stets bei einem bestimmten Bauern in Dithmarschen untergebracht worden, dessen Mutter die Tiere schließlich anlässlich der Notveräußerung „günstig“ erworben habe. Seinen Mandaten sei insgesamt ein Schaden von 600.000 bis 800.000 Euro entstanden – entgangene Gewinne eingerechnet.

Bei einem Treffen von betroffenen Tierhaltern im Gasthof Zur Eiche in Todesfelde wurden ähnliche Vorwürfe laut ausgesprochen. Eingeladen hatte der eingetragene Verein Arbeitskreis gerechter Tierschutz. Das Muster bleibt gleich: Die betroffenen Tierhalter schimpfen, die Behörden schweigen. Außerdem fordert der Verein die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur weiteren Aufklärung. Unterstützt wird der Verein darin unter anderem von der Landtagsabgeordneten Angelika Beer (Piratenpartei).