Kinder, wie die Zeit vergeht: Matthias Claudius wird auch schon 275. Dafür ist er bereits 200 Jahre tot. Aber, zum Glück, nicht vergessen: Die Schüler des Wandsbeker Matthias-Claudius-Gymnasiums ehren den Dichter mit einem selbstgeschriebenem Theaterstück, in dem Claudius als Zeitreisender leibhaftig die Gegenwart erlebt.

Das ist eine interessante Idee. Man fragt sich unwillkürlich, was Claudius – ein Humanist und Aufklärer, ein Prediger von Toleranz und Friedfertigkeit – wohl angesichts aktueller Terrorfuzzis und Geiferprediger sagen würde. Dann liest man sich noch mal den Text seines berühmten „Abendliedes“ durch, von dem man nur die weltberühmte Zeile „Der Mond ist aufgegangen…“ im Gedächtnis hatte. Entdeckt die 3. Strophe: „Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen, und ist doch rund und schön! / So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen – weil unsre Augen sie nicht seh’n.“ Und dann weiß man: Claudius ist entweder schon früher in die Zukunft gereist oder die Menschen haben sich verdammt wenig geändert. Vermutlich letzteres. Eine Kollegin von mir erlebte in Berlin Folgendes: Sie steht vor dem Haus Große Hamburger Straße 28/29 und sagt zu ihrem Gatten: „In der Nr. 30 hat mal Fontane gewohnt.“ Über ihr lehnt ein alter Herr aus dem Fenster, hört das und kommentiert: „Nee, det is Quatsch! ’n Fontane hat hier nie jewohnt!“ Kollegin: „Doch! Er ist erst später in die Potsdamer Straße gezogen.“ Herr: „Nee, Frolleinchen, ick wohn hier seit dreißich Jahren: ’n Fontane jab’s hier nich! Det wüsst ick!“

Abgesehen davon, dass sich der gute Theodor Fontane über diesen Dialog sicher am allermeisten herzlichst amüsiert hätte, wünschte man sich doch, dass alle Menschen, die nur den halben Mond sehen und deshalb die Existenz einer zweiten Hälfte abstreiten, mal bitte ein wenig kürzer treten und nicht die ganze Welt in ihren Horizont zwängen. Oder, um noch einmal Matthias Claudius zu zitieren, „Abendlied“, Strophe 7: „Verschon uns, Gott, mit Strafen, und lass uns ruhig schlafen / und uns’ren kranken Nachbarn auch!“

Vielleicht gäbe es dann endlich ein friedliches Erwachen.