Eine Glosse von Manfred Scholz

Der Mensch hat ein sehr kurzes Gedächtnis. Erinnern Sie sich? Vor etwa vier Wochen hielt das ganze Land den Atem an. Beim Einzelhandel explodierten die Umsatzzahlen. Unzählige liebe Tiere wie Gänse, Enten oder Rehe ließen ihr Leben. Im Radio dudelten die ewig gleichen Stimmungslieder in einer Endlosschleife. Alles war tiefes Gefühl. Und heute? Wer spricht noch von Weihnachten? Wer verschwendet noch einen Gedanken daran? Dabei liegt der emotionale Ausnahmezustand der gesamten Nation gerade mal eine Monatsfrist zurück. Eigentlich unglaublich.

Wir rasen durch die Gegenwart. Kein Mensch blickt lange zurück. Alles ist atemlos, um eine Schlager-Sirene zu zitieren. Wissen Sie noch? Es gab mal eine kleine Partei, die lange Jahre richtig wichtig war. Heute kämpft man ums mediale Überleben. Die erhoffte strahlende Wiederkehr ist so wenig wahrscheinlich wie ein politisches Comeback des bislang einzigen Bundespräsidenten aus Hannover. Auch der Wähler hat ein kurzes Gedächtnis.

Der Mensch vergisst schnell – und am schnellsten der Pop-Fan. In dieser Branche ist man über Nacht weg vom Fenster. Wer nicht mehr liefert, ist ratzfatz Archivmaterial. Deshalb will auch keiner der alt gewordenen Jungs abtreten. Stattdessen gibt’s erst einmal eine Abschiedstour – übrigens der älteste Trick im Showbusiness. Bestes Beispiel dafür sind die Scorpions. Die Hartrocker gaben vor vier Jahren ihre Auflösung bekannt – aber sie spielen weiterhin gegen ihr Vergessen. Noch einmal: Weihnachten: Irgend etwas war da doch mal, oder? Ich behalte das Fest jedenfalls im Gedächtnis. Die Pfunde, die ich mir angefuttert habe, werde ich so schnell nicht wieder los.