Mit einer Schweigeminute gedachten Fallmanager der Jobcenter den Opfern von Gewalt aus ihren Reihen

Kreis Segeberg. Mittagspause um 12 Uhr am Dienstag im Jobcenter Kaltenkirchen. Die elektrischen Schiebetüren des lichten Foyers sind geschlossen. Nur wenn jemand von drinnen nach draußen will, öffnen sie sich kurz. Ein Mann nutzt diesen Moment und gelangt schnellen Schrittes ins Gebäude. Jetzt trennt ihn nur noch eine Treppe von den Büros der Fallmanager. Doch nun eilt eine Dame jene Treppe hinunter, aufgebracht gibt sie dem Mann zu verstehen: „Nein! Nein! Geschlossen! Gehen Sie wieder raus! Kein Eingang!“ Sie fuchtelt wild mit den Armen, ihr Blick wirkt bestimmt und ängstlich zugleich.

Erst als der Mann sich als Redakteur des Hamburger Abendblatts vorstellt, entspannt sich die Dame und beginnt zu lachen. „Es ist einfach diese Angst, die wir jeden Tag haben“, sagt die Fallmanagerin, die seit fünf Jahren im Kaltenkirchener Jobcenter Hartz-IV-Empfänger betreut. „Die Leute stürmen manchmal hier rein und stehen aufgebracht vor unseren Tischen. Da weiß man nie, ob da nicht mal einer komplett durchdreht.“

So wie am 4. Dezember 2014 in Rothenburg ob der Tauber, als ein 28-Jähriger im Jobcenter einen 61 Jahre alten Fallmanager erstach. Oder am 26. September, als ein 52 Jahre alter Arbeitsloser im Jobcenter von Neuss eine 32 Jahre alte Mitarbeiterin erstach. Oder am 1. September 2014, als im Finanzamt Rendsburg ein 55-jähriger Steuerberater einen 57-jährigen Finanzbeamten erschoss.

An diesem Dienstag setzen etwa 30 Mitarbeiter des Jobcenters in Kaltenkirchen ein Zeichen und versammeln sich für eine bundesweit ausgerufene Schweigeminute im Jobcenter-Foyer – in Gedenken an die Opfer von Gewalt im öffentlichen Dienst. Und auch, um der Öffentlichkeit ins Gedächtnis zu rufen, dass die Angst vor Übergriffen in den Jobcentern besonders groß ist.

„Wir haben es mit Menschen in Ausnahmesituationen zu tun, die außer sich sind und viele Probleme haben. Bei uns lassen die dann den Dampf ab“, sagt die Fallmanagerin. Rumschreien, Beschimpfungen, das Treten gegen Tische und Türen – sie hat das alles erlebt in Kaltenkirchen. „Ich versuche immer, freundlich zu bleiben. Wie man empfangen wird, so verhält man sich auch – das hoffe ich zumindest immer.“

Stefan Stahl, der stellvertretende Leiter der drei Jobcenter der Arbeitsagentur Elmshorn im Kreis Segeberg, ist für die Schweigeminute nach Kaltenkirchen gekommen. „Hartz-IV ist eben echt hart. Klar, dass manche in dieser Lage verzweifeln“, sagt Stahl. „Die ganz schlimmen Zwischenfälle sind uns im Kreis Segeberg bisher erspart geblieben.“ Doch zum Jobcenter-Alltag gehören die Gewalt gegen Dinge und vor allem verbale Entgleisungen. „Unsere Beschäftigten müssen mehr Beleidigungen ertragen als sie sich zugestehen. Sie schlucken all das runter und sagen sich: nächster Kunde. Doch so darf es eigentlich nicht sein“, sagt Stahl.

Eine Überschreitung der zumutbaren Grenzen gab es immer mal wieder. So wurden im Jahr 2013 acht Hausverbote ausgesprochen und drei Hausverbote angedroht sowie zwei Strafanzeigen erstattet. Im Jahr 2014 waren es acht ausgesprochene Hausverbote, sechs wurden angedroht sowie drei Strafanzeigen wegen Sachbeschädigung erstattet.

Die Konflikte entzünden sich an den immer gleichen Umständen. Die Hartz-IV-Bezieher stecken oft mitten im Existenzkampf und haben keine „realistische Vorstellung vom Umfang der gesetzlich vorgesehenen Unterstützungsleistungen“, sagt Stahl. Ein Singlehaushalt zum Beispiel erhält monatlich 399 Euro Regelsatzleistung zuzüglich der angemessenen Kosten der Unterkunft, monatlich also je nach Wohnort im Kreis Segeberg etwa 700 bis 830 Euro. Wenn es aufgrund der Überlastung der Fallmanager zu längeren Bearbeitungszeiten kommt und die Leistungen nicht in den durchschnittlich üblichen zehn Arbeitstagen bewilligt werden, seien Konflikte programmiert. Allerdings nur bei einer Minderheit der Fälle, wie Stahl betont. Die meisten Kunden zeigen Verständnis für die Arbeitssituation der Jobcenter-Beschäftigten. „In begründeten Notsituationen helfen wir den Betroffenen mit einer sofortigen Barzahlung oder mit Lebensmittelgutscheinen.“

Natürlich werde laufend diskutiert, welche Sicherheitsmaßnahmen sinnvoll und nötig sind. Schon heute darf jeder Beschäftigte ein sofortiges Hausverbot aussprechen, es gibt ein Alarmsystem sowie Fluchtwege und weitere organisatorische und bauliche Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit der Beschäftigten. Ein Arbeitskreis befasst sich regelmäßig mit dem Thema. Die Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei sei hervorragend.

Dennoch werde immer wieder über das Thema Sicherheitsdienst intern diskutiert. „Wenn ich unser verglastes Foyer in Kaltenkirchen sehe – da könnte auch einer mit dem Auto reinrauschen. Die Glastür eingetreten, hat schon mal einer“, sagt Stahl.

Doch das Verbarrikadieren könne keine hundertprozentige Sicherheit garantieren. „Wenn ein Verrückter entscheidet, dass der Herr Stahl heute sterben wird, dann wird Herr Stahl heute sterben. Doch über 99 Prozent der Menschen, die zu uns kommen, sind vernünftig und benehmen sich“, sagt Stahl. Diese Menschen sollen nicht diskriminiert werden, indem ihnen der Zugang durch Wachpersonal, Sicherheitskontrollen oder weitergehendere Maßnahmen erschwert werde. Stahl: „Eine Verwaltung, die sich mit sozialen Themen beschäftigt, sollte den Grundsatz eines offenen Hauses verfolgen.“