Was wird das Jahr 2015 bringen?

Viele schauen mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. Der Jahresrückblick 2014 konnte niederdrücken und verunsichern. Er bestimmte schon die Wochen des Advents, in der die Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit greifbar war: Es bräuchte mehr Licht in der Dunkelheit, es bräuchte mehr Wunder.

Der Pastor Georg Weissel hatte 1624 das Adventslied „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ gedichtet. Ein Schneesturm war durch Königsberg gefegt, und die Leute suchten Schutz im Dom. Der Küster begrüßte sie mit den Worten: „Willkommen im Hause des Herrn! Hier ist jeder in gleicher Weise willkommen, ob Patrizier oder Tagelöhner! Das Tor des Königs aller Könige steht jedem offen.“ Weissel stand mit den anderen im Vorraum des Doms. Die Worte des Küsters im Ohr schweiften seine Blicke zu dem hohen Portal – da kamen ihm die ersten Gedanken zu diesem Lied, das viele Herzens- und Holztüren öffnete.

Zum Beispiel die des Kaufmanns Sturgis, der ein herrschaftliches Haus erworben hatte. An ihm vorbei mussten die Bewohner eines Alten- und Siechenheims zu einer neuen Kirche gehen. Sturgis missfiel der Anblick. Er kaufte ein angrenzendes Grundstück und ließ es mit einer Mauer und einem Tor umbauen. Niemand kam mehr durch. Die Leute beschwerten sich bei Weissel, der einen Plan hatte. Gemeinsam mit vielen Alten und Kranken zog man in der Adventszeit vor das Tor. Weissel hielt eine Predigt, und der Chor sang das neue Lied „Macht hoch die Tür“. Zu ihrem Erstaunen holte Sturgis den Schlüssel aus seiner Tasche und bat die Sänger in sein Haus. Das Tor blieb offen, der Weg hieß fortan „Adventsweg“.

Die Sehnsucht des Advents nach Frieden und Gerechtigkeit hat auch mit uns zu tun. Damit, ob wir unsere Herzen dem König der Sanftmütigkeit und Barmherzigkeit öffnen, damit, ob wir unsere Herzenstüren und Holz- und Stahltüren anderen öffnen. Auch 2015 wird für alle Gemeinden ein Jahr voller Begegnungen mit Christinnen und Christen aus anderen Kulturen und Menschen anderer Religionen werden. Viele von ihnen auf der Flucht. Was das Jahr 2015 für uns und andere bringen wird, hängt auch damit zusammen, ob wir dieses Adventslied zu einem Lebenslied werden lassen. Kleine Wunder wären möglich.

Christian Wollmann ist Pastor der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Harksheide in Norderstedt