Die gewaltsame Abschiebemaßnahme der Familie Hakopjan war unverhältnismäßig. Der Landrat weist Vorwurf zurück

Kreis Segeberg. Diesen Tag wird die Familie Hakopjan aus Nahe wahrscheinlich nie wieder vergessen: Um 6 Uhr morgens klingelt es am 31. Januar 2014 an der Wohnungstür. Vater Artak vermutet Nachbarn, doch sieht sich plötzlich einem knappen Dutzend Polizeibeamter und Mitarbeitern von Ausländerbehörden gegenüber. Unmissverständlich machen diese deutlich: Die armenische Familie soll sofort das Land verlassen. Für den Abtransport zum Flughafen Fuhlsbüttel stehen zwei Kleinbusse bereit. Polizisten drangen in die Wohnung ein, wird später berichtet, fesseln den Familienvater mit Handschellen, führen die Mutter im Nachthemd ab.

Diese Aktion der Polizei sorgt für Aufsehen und Schlagzeilen. Denn Artak und Karine Hakopjan aus Armenien leben bereits seit 2001 in Nahe. Sie flüchteten aus ihrer Heimat. Er war vor allem eine Flucht vor dem Wehrdienst. Denn Armenien streitet schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts mit Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach; in den 1990er-Jahren führten beide Staaten einen Krieg, gelöst ist der Konflikt auch heute nicht.

Ein dauerhaftes Bleiberecht hatten die Hakopjans in all den Jahren nie erhalten. Dies galt ebenso für die Kinder – anders als etwa in den USA erhalten Neugeborene ausländischer Eltern in Deutschland nicht automatisch die Staatsbürgerschaft. Sogar bis zum Bundesverwaltungsgericht gingen die Versuche, ein Bleiberecht zu erstreiten. Doch auch in letzter Instanz hieß es, dass kein humanitäres Aufenthaltsrecht bestünde.

Die Polizei kam unangemeldet. Und noch immer haben sich die Gemüter nicht beruhigt. Jetzt meldet sich das Kieler Innenministerium zu Wort. Nach eingehender, fachaufsichtlicher Prüfung wird das Verhalten der Ausländerbehörde des Kreises Segeberg für „unverhältnismäßig“ erachtet. Das Innenministerium sei zu dem Ergebnis gekommen, dass zunächst eine angekündigte Abschiebung das angemessene Mittel für eine Aufenthaltsbeendigung gewesen wärte, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme des Ministeriums für Inneres und Bundesangelegenheiten in Kiel. Weiter Angaben macht das Ministeriums nicht. Sprecher Ove Rahlf weist aber darauf hin, dass diese Beanstandung ohne rechtliche Folgen bleibt. „Ob Folgen im Bereich der Kreisverwaltung entstehen – und wenn, welche –, fällt in die Verantwortung des Landrats oder des Kreistags“, so Rahlf.

Für Landrat Jan Peter Schröder, der im Januar noch nicht im Amt war, steht allerdings fest, dass es keine Sanktionen geben wird. Denn nicht die Ausländerbehörde des Kreises Segeberg, sondern das Landesamt für Ausländerangelegenheiten in Neumünster sei für die Aktion verantwortlich gewesen, teilt Schröder mit. Diese Behörde habe sich im Austausch mit der Polizei für die Maßnahme entschieden. „Das Landesamt hatte die Hosen an.“ Allerdings habe die Ausländerbehörde des Kreises die Ausreisepflicht der Familie festgestellt. Jan Peter Schröder kündigte aber an, dass der Kreistag über die Angelegenheit informiert werde. Er selbst ist der Auffassung, dass die Aktion der Familie zuvor hätte angekündigt werden können.

Der Flüchtlingsbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein sieht das allerdings anders: Er hat eine Fachaufsichtsbeschwerde gegen die damalige Landrätin Hartwieg eingeleitet. Die geplante Abschiebung der Hakopjans sei in ihrer Art der Durchführung menschenunwürdig gewesen, findet Flüchtlingsbeauftragter Stefan Schmidt.

Die Aktion des Landesamtes für Ausländerangelegenheiten und der Polizei hat Auswirkungen für die Zukunft: Unangekündigte Abschiebemaßnahmen müssen künftig mit den Innenministerium abgestimmt werden.

Inzwischen hat sich die Situation für die armenische Familie entspannt. Die drei Hakopjan-Söhne Roman, Karen-Alex und Erik, die alle in Deutschland geboren wurden und hier zur Schule gehen, haben jeweils ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erhalten, während ihre Eltern weiterhin geduldet werden. Das hatte der damalige schleswig-holsteinische Innenminister Andreas Breitner beschlossen, womit er einer gleichlautenden Empfehlung der Härtefallkommission folgte.

In Nahe hatte die Abschiebeaktion und der Wirbel um die Familie Hakopjan großen Wirbel und viel Aufregung verursacht. Etliche Nachbarn hatten die rüde Aktion im Morgengrauen verfolgt und voller Empörung auf das Vorgehen der Polizei hingewiesen. Naher Bürger protestierten vor dem Kreishaus in Bad Segeberg, einer Unterschriftensammlung auf einem Onlineportal hatten sich fast 8000 Menschen angeschlossen – darunter viele, die nicht aus Nahe kommen.

Auch die Kirchengemeinde in Nahe hatte eine Liste ausgelegt, auf der sich mehr als 1100 Kinder, Jugendliche und Erwachsene eintrugen. Die Schüler des Gymnasiums, das die beiden älteren Kinder besuchen, starteten Sympathiekundgebungen. Nahes Pastor Ekkehard Wulf und Lehrerin Petra Nagel, die den Kindern gute Zukunftschancen voraussagt, schalteten sich ein.