Wellensittich war in der JVA Glasmoor gelandet. Für die Besitzerin ist die Rückkehr das schönste Weihnachtsgeschenk

Norderstedt. „Er hat aber auch wirklich ein hübsches Gefieder“, sagt Ursel Goldschmidt. Er hört auf den Namen Butschi und ist noch ein wenig menschenscheu, denn der Wellensittich hat einen bemerkenswerten Ausflug hinter sich. Vier Monate war der kleine Vogel verschwunden. Die Besitzerin hatte nicht mehr damit gerechnet, den blau-weiß gefiederten Flieger jemals wieder zu sehen.

Doch dann zeigte das Schicksal, was es kann: Genau zu ihrem 86. Geburtstag und rechtzeitig zum Weihnachtsfest konnte Ursel Goldschmidt ihren Butschi wieder in ihrer Wohnung begrüßen. „Ein schöneres Geschenk kann ich mir kaum vorstellen“, sagte die Norderstedterin, die den Ausreißer zusammen mit Enkelin Veronika, 22, in Empfang nahm.

Die Geschenkbotin war eine Mitarbeiterin der JVA Glasmoor. Sie hatte sich des Freifliegers angenommen, nachdem er am vergangenen Mittwoch im Innenhof der Haftanstalt gelandet war (wir berichteten). Die Insassen der JVA freuten sich über den niedlichen Besucher, brachte er doch Farbe in ihren grauen Knastalltag. Sie fütterten ihn, bald hatte der Sittich Zutrauen gefasst. Eine Justizvollzugsbeamtin nahm den Gast in Obhut. Sie kennt sich aus mit Wellensittichen, hält zu Hause gleich mehrere in einer Voliere.

Nun kam noch einer dazu, schließlich brauchte Butschi nach der ganzen Aufregung Ruhe. Die Pflegerin auf Zeit fragte sich, wer den Sittich wohl vermisst. Sie meldete sich beim Abendblatt und bat um Hilfe. Und unser Aufruf hatte Erfolg, Ursel Goldschmidt erkannte ihren Butschi wieder. Die Merkmale, die die Norderstedterin nannte, trafen zu: Ihr Wellensittich habe einen großen und mehrere kleine Flecken am Hals, er sei unberingt und ein Männchen.

So machte sich die Justizvollzugsbeamtin auf den Weg nach Norderstedt und sorgte für Familienzusammenführung. Butschi war noch etwas geschafft von der monatelangen Odyssee. Er zog es vor im Käfig zu bleiben und wollte sein Heim hinter Gittern auch nicht verlassen, als Veronika versuchte, ihn fürs Foto auf den Finger zu nehmen. Auch die junge Frau, die bei ihrer Oma lebt, hat einen Wellensittich, Grismo. Den hat sie zusammen mit Butschi 2 angeschafft, als die beiden davon ausgingen, dass Butschi 1 wohl nicht wieder kommen wird.

Den hatte die Familie im Juli gekauft, damit Ursel Goldschmidt jemanden zum Sprechen hat – seitdem sie allein lebt, spricht sie wenig, manchmal versage deswegen ihre Stimme. „Ich habe schon als Kind immer Wellensittiche gehabt“, sagt die Seniorin, die ihrem neuen Hausgenossen Wörter beibringen wollte. Als die Besitzerin ins Krankenhaus musste, nahm ihr Sohn das Tier in Pflege.

„Wir hatten ihn gut einen Monat, als mein Vater den Käfig nach draußen stellte, weil es drinnen so warm war. Und irgendwie muss Butschi es geschafft haben, einen Teil des Käfigs hochzuschieben und davon zu fliegen“, erinnert sich Veronika. Ihr Vater musste nun seiner Mutter in der Klinik die Nachricht überbringen, Ursel Goldschmidt war ganz traurig, dass ihr neuer Freund sich schon wieder aus dem Staub gemacht hatte.

Einen Monat warteten Enkelin und Oma darauf, dass der Sittich wieder nach Hause kommt. Sie hatten den Käfig nach draußen gestellt, geöffnet und mit Futter gefüllt, doch das Tier blieb verschwunden. Die beiden entschlossen sich einen Nachfolger zu kaufen. Der wurde auch auf Butschi getauft. „Alle meine Wellensittiche hießen Butschi“, sagt Ursel Goldschmidt, die sich nun riesig darüber freut, dass der Ausreißer wieder da ist und ganz pragmatisch den neuen Vogel in Butschi 2 umbenannt hat.

Die Seniorin und ihre Enkelin gehen davon aus, dass der Wellensittich irgendwo zwischengelandet ist und für kurze Zeit ein neues Zuhause gefunden hatte, ehe er auch dort die Segel gestrichen und sich auf den Weg in die Haftanstalt gemacht hat. „Es ist unwahrscheinlich, dass Wellensittiche in freier Natur so lange überleben“, sagt Ingo Ludwichowski, Sprecher des Naturschutzbundes (Nabu) in Schleswig-Holstein. Das Wetter sei das geringere Problem, sie fänden aber keine Nahrung. Zudem lauere eine weitere Gefahr: „Gerade in urbanen Bereichen werden Wellensittiche oft zur Beute von Wanderfalken“, sagte der Nabu-Sprecher.