700 Millionen Euro Umsatz machen die Händler pro Jahr in Deutschland. Im Obi-Gartencenter in Norderstedt wurden ihn diesem Jahr auffallend viele junge Paare gesehen

Norderstedt. Kalt ist es. Windig, Nass. Ungemütlich. Kein schöner Tag, um einen Weihnachtsbaum zu kaufen. Aber egal, was muss, das muss. In diesem Jahr geht es eben nicht anders. „Das Wetter ist schiet egal“, sagt Jessica Tschirner. „Hauptsache, der Baum ist schön.“ Nicht sie hat das letzte Wort, sondern Naemi, die neunjährige Tochter. „Schön grade muss der Baum sein“, sagt das Mädchen. „Und größer als wir. Und überall grün.“

Die kleine Familie, zu der auch Bruder Tjell, 6, gehört, wird sich innerhalb von zehn Minuten einig: Einige Exemplare werden von allen Seiten besichtigt und nach eingehender Begutachtung wieder weggestellt. Der Baum, der schließlich im Wohnzimmer stehen wird, ist „perfekt“. Wie immer. Unten füllig, oben etwas luftiger, hoch genug, gerade. Einfach schön. Der Preis ist durchaus akzeptabel: 14,99 Euro für eine Nordmanntanne, die etwa 1,80 Meter groß ist – da gibt es nichts zu meckern.

Jessica Tschirner und ihre Kinder sind wahrscheinlich keine Durchschnittskunden. Bei der Verkaufsstelle an der Oadby-and-Wigston-Straße sehen die durchschnittlichen Weihnachtsbaumkäufer so aus: Es erscheinen Frau und Mann, wobei die Frau bei Eintritt in das Tannenbaum-Quarree automatisch die Führung übernimmt. Der Mann hält sich im Hintergrund und beobachtet seine Begleiterin argwöhnisch. Die geht einmal die Runde ab, taxiert die Bäume, nimmt den einen oder anderen heraus und drückt ihn ihrem Mann in die Hand. Der hält ihn einigermaßen aufrecht, während die Dame ihn umrundet, die Stirn runzelt und schließlich den Kopf schüttelt. Der nicht. Der nächste auch nicht. Der übernächste? Na ja, der schon eher. Aber auch nicht wirklich. Der Mann resigniert, die Frau stapft weiter.

Das ist die Natur der Sache. „Die Frau geht einfach kritischer heran“, sagt Viola Krugmann, stellvertretende Leiterin des Obi-Gartencenters an der Niendorfer Straße, die eines der größten, wenn nicht das größte Tannenbaum-Depot in Norderstedt verwaltet. Es ist nämlich so: Während der Mann den Tannenbaumkauf möglichst schnell hinter sich bringen will und notfalls auch der letzten Krücke eine Chance geben würde, denkt die Frau praktischer und deshalb weiter. Sie überlegt, wie der Baum später im Wohnzimmer dasteht. Eine Krücke wäre eine Blamage und eine Schande für die ganze Familie. Die Äste dürfen nicht zu dicht aneinander liegen, weil sonst kein Platz für die Kugeln bliebe. Die Kinder dürfen ein Wörtchen mitreden, der Mann eher nicht. Viola Krugmann hat schon erlebt, dass beim Tannenbaumkauf der schönste Ehestreit ausgebrochen ist. Im Extremfall geht der Mann, weil er einfach die Nase voll hat.

Solche Szenen hat auch Steven Schönfeld auf dem Gelände an der Oadby-and-Wigston-Straße schon erlebt. Er weiß aus Erfahrung, dass oft die Kinder das letzte Wort haben. Die Männer keinesfalls. Bei Obi ist ein Tannenbaum sogar am nächsten Tag wieder zurückgebracht worden. Völlig falsche Wahl, ging gar nicht. Angeblich sei der falsche Baum eingepackt worden. Der Umtausch verlief problemlos. Allerdings wäre es etwas einfach, alle Ehepaare über einen Kamm zu scheren. Beim Obi-Weihnachtsbaumverkauf hat Viola Krugmann, die selbst übrigens auf dem Platz mit anpackt, einen ganz besonderen Trend festgemacht: Noch nie hat sie so viele junge Paare beim Weihnachtsbaumkauf erlebt wie in diesem Jahr. Große Liebe, erste gemeinsame Wohnung, erster gemeinsamer Tannenbaum. Da fallen noch keine bösen Worte, wenn der Partner die Krücke liebt.

Der beliebteste Baum ist nach wie vor die Nordmanntanne mit einem Marktanteil von fast 50 Prozent. Praktisch, hübsch grün, nicht nadelnd, nicht riechend, nicht stechend – ein bisschen wie Plastik wirkt dieser Baum, der sich in jedem Wohnzimmer garantiert gut macht. „Wir haben auch ein kleines Sortiment an Blaufichten“, sagt Viola Krugmann, die ganz genau weiß, dass auch am 24. Dezember, kurz vor Toresschluss, noch Kunden ihren Last-Minute-Baum kaufen. Blaufichten gehören nicht zum Mainstream: Sie duften stark, nadeln schnell, die Nadeln pieksen. Wenn es im Wohnzimmer nach Weihnachten und nicht nach Glühwein duften soll, ist dieser Baum erste Wahl. Aber der Marktanteil liegt bundesweit bei unter 15 Prozent. Am preiswertesten sind Rotfichten, die ihre Nadeln aber sehr schnell verlieren.

Gefühlt gibt es in jedem Jahr mehr Tannenbaumhändler in Norderstedt und Umgebung. Die genaue Zahl ist nicht bekannt. Viola Krugmann hat bisher allerdings keinen Umsatzeinbruch erlebt: Gut 3000 Tannenbäume werden hier Jahr für Jahr verkauft. Bäume bis 1,50 Meter Höhe kosten bei ihr 12,99 Euro, Premiumbäume, die zwischen 1,70 und zwei Meter groß und sehr gerade gewachsen sind, 35 Euro. Im Umland gilt oft diese Formel: Pro Meter 20 Euro. Bei Steven Schönfeld gehen die Bäume allesamt für 14,99 durch die Netzmaschine. Bis zu 50 Stück verkaufen er und seine Kollegen pro Tag. Der Einkaufspreis wird nicht verraten. „Die Gewinnspanne beträgt weniger als 100 Prozent“, sagt Viola Krugmann. Immerhin scheint das Geschäft zu brummen. Dafür spricht schließlich auch die große Anzahl an Händlern, die sich den Markt teilt. Die Obi-Bäume stammen von einer deutschen Baumschule, die auch in Dänemark anbaut. Die Bäume an der Oadby-and-Wigston-Straße kommen alle aus Schleswig-Holstein, vorwiegend aus der Gegend um Kiel.

Der Hauptverband der Deutschen Holzindustrie hat ermittelt, dass sich Tannenbäume zunehmender Beliebtheit erfreuen: Von 24 Millionen verkauften Tannenbäumen im Jahr 2000 ist die Zahl auf 30 Millionen im Jahr 2013 gestiegen. 700 Millionen Euro Umsatz wurden im Jahr 2012 erzielt.