Es geht um die Beschlagnahme und Notverkäufe von Tieren, ohne die Besitzer vorher zu informieren

Kreis Segeberg. Der Großeinsatz der Polizei an einem Maiwochenende des Jahres 2013 war spektakulär: Zwei Tiger, zwei Löwen und ein Elefant wurden während eines stundenlangen Einsatzes beim Zirkus Las Vegas, der zu diesem Zeitpunkt in Norderstedt gastierte, beschlagnahmt. Der Vorwurf: Die Tiere seien nicht artgerecht gehalten worden. Eine Löwin hatte sich ihren Schwanz selbst abgebissen. Die von der Staatsanwaltschaft beantragte Aktion schlägt bis heute hohe Wellen – doch jetzt steht nicht mehr der Zirkus, sondern die Anklagebehörde selbst im Mittelpunkt: Die Staatsanwaltschaft Itzehoe ermittelt gegen eine Kollegin aus Kiel wegen des Verdachts der Rechtsbeugung. Die Staatsanwältin steht unter Verdacht, beschlagnahmte Tiere notverkauft zu haben, ohne die Besitzer vorher zu informieren. Dabei geht es nicht nur um die Zirkustiere, sondern auch um beschlagnahmte Rinder und Hunde.

Ohne den Polizeieinsatz in Norderstedt, in deren Verlauf die Zirkusfamilie Köllner und weitere Mitarbeiter ihre Wohnwagen über Stunden nicht verlassen durften und später vor den Wohnwagen eingekesselt wurden, wäre das öffentliche Interesse wahrscheinlich gering geblieben. Aber die Zirkusfamilie Köllner brachte den Fall öffentlich ins Rollen: Sie stellte im Sommer 2014 Strafanzeige gegen die Staatsanwaltschaft, ihr Rechtsanwalt Frank Knuth leitete zudem Dienstaufsichtsbeschwerden ein.

Die 7. Kammer des Landgerichts Kiel hatte anlässlich des Ermittlungsverfahrens festgestellt, dass die von der Staatsanwaltschaft beantragte und von einem Großaufgebot der Polizei ausgeführte Beschlagnahmung von Zirkustieren an der Ulzburger Straße in Norderstedt „unverhältnismäßig“ war. Nach Ansicht des Gerichts hätten die Tiere auch auf dem Zirkusgelände in Norderstedt untersucht werden können. Die Ermittlungen wegen des Verdachts der Tierquälerei laufen allerdings noch. Las-Vegas-Anwalt Knuth macht bei der Staatsanwaltschaft einen Anspruch auf Schadensersatz in „mittlerer sechsstelliger Höhe“ geltend.

„Wir haben uns von Beginn an dagegen gewehrt und deswegen die Staatsanwaltschaft auch wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung angezeigt“, sagt Frank Knuth. „Die Notveräußerung wurde gemacht, als das Landgericht Kiel bereits gesagt hatte, dass die Beschlagnahmung unverhältnismäßig sei.“

Ob allerdings seine Anzeige wegen Rechtsbeugung die nun bekannt gewordenen Ermittlungen mit ausgelöst hat, weiß Frank Knuth nicht. Zumindest hat sie dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeit aufmerksam wurde. Knuth betont, dass eine Staatsanwalt eine Notveräußerung durchaus anordnen könne, wenn die Unterbringung von Tieren unverhältnismäßig teuer sei und deren Wert deutlich übersteige. „Das ist hier nicht der Fall gewesen“, sagt Knuth. Die Löwen, Tiger und der Elefant wurden an den Zoo in der belgischen Gemeinde Opglabbeek verkauft.

Hohe Wellen schlug auch der Fall des Todesfelder Milchbauern Dieter Scherrer, aus dessen Stall die Staatsanwaltschaft im Februar 156 Rinder beschlagnahmte. Der Vorwurf: Scherrer habe gegen das Tierschutzgesetz verstoßen und eine Mängelliste nicht abgearbeitet. Dazu gehörten Krankheiten, schlechter Ernährungszustand bei einzelnen Tieren, unsaubere Liegeboxen, nicht für alle Tiere gleichbleibend gutes Futter. Zudem seien einige kleinere Reparaturen nötig gewesen. Der Viehbestand wurde damals in Dithmarschen auf dem Hof des Viehhändlers Bernd Karstens untergebracht. Seitdem wird ermittelt. Scherrer ist davon überzeugt, dass die Tiere schon vor einem Monat verkauft worden sind – eine schriftliche Bestätigung haben sie jedoch nicht erhalten. Für die Milchproduktion sind die trockengestellten Kühe nicht mehr geeignet, sodass die Abnehmer mutmaßlich osteuropäische Fleischproduzenten sind. Der Erlös einer Notveräußerung würde theoretisch komplett an den früheren Besitzer gehen. Da allerdings die Futter- und Unterbringungskosten gegengerechnet werden, bleiben Landwirte wie Dieter Scherrer in der Regel auf sechsstelligen Rechnungen sitzen. Die dort veranschlagten Beträge seien stark überhöht, die Tiere selbst würden dafür unter Wert verkauft, dieser Vorwurf wird immer wieder erhoben – Profiteure wären dann die jeweiligen Viehhändler wie etwa Bernd Karstens. Was hinzukommt: Selbst wenn ein Verfahren eingestellt wird oder ein Freispruch ergeht – ihre Tiere bekommen die Landwirte nicht wieder.

Anderen Bauern in Schleswig-Holstein ist es ähnlich ergangen. 75 Betroffene haben sich im Arbeitskreis gerechter Tierschutz zusammengeschlossen. Sie sprechen von 120 Fällen in Schleswig-Holstein, die stets unter dem gleichen Muster abgelaufen seien und fordern sogar einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, um die Verantwortlichkeit zu klären. Der agrarpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Heiner Rickers, bestätigt, dass es seit einem Jahr immer wieder Vorwürfe gibt, weil Tiere verkauft oder sogar verendet sind. Das Justizministerium informierte die agrarpolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen über die Anschuldigungen. Aber auch während dieser Unterredung wurden keine Namen von Personen genannt, gegen die ermittelt wird. Angelika Beer, Mitglied der Piraten-Landtagsfraktion, hat nach der Unterredung im Justizministerium den Eindruck gewonnen, dass nach Verwarnungen gegenüber Landwirten oft zu lange abgewartet wird, bis die angeordneten Maßnahmen umgesetzt werden. „Oft sind die Tiere auch nach zwei Jahren behördlicher Verwarnungen noch auf dem Hof.“ Die Piraten-Politikerin fordert ein Controlling des Ordnungsrechts. Sie will dafür sorgen, dass sich der Landtags-Umweltausschuss am 14.Januar mit dem Thema befasst.