Das Wissenschaftszentrum für intelligente Energie, eine Filiale der Fachhochschule Lübeck, nimmt die Arbeit auf

Norderstedt. Der Strom kommt aus der Steckdose. Wann immer wir Elektrizität brauchen, fließt sie. „Doch mit den erneuerbaren Energien hat die ständige Verfügbarkeit ein Ende“, sagt Professor Cecil Bruce-Boye von der Fachhochschule Lübeck. Wind und Sonne sind flüchtige Gesellen, mit ihnen müssen wir umgehen wie früher der Müller. Der konnte Getreide nur zu Mehl verarbeiten, wenn der Wind die Mühlenflügel angetrieben hat. Wie aber können wir dafür Bewusstsein schaffen, erreichen, dass die Bürger ihren Stromverbrauch entsprechend flexibilisieren? Welche Technologie ist nötig? Und wie können wir die Verbraucher mitnehmen? Antworten auf diese Fragen sollen Hochschullehrer, Doktoranden und Studierende in einer Einrichtung finden, die still und unbemerkt von der Öffentlichkeit die Arbeit aufgenommen hat: das Kompetenz- und Wissenschaftszentrum für intelligente Energie (WiE) in Norderstedt.

Die ersten sechs Studierenden, zwei erfahrene Wissenschaftler und weitere Forscher beschäftigen sich mit dem intelligenten Einsatz der erneuerbaren Energien und damit, wie die Verbraucher erfahren, dass der Wind gerade die Rotoren im Norden kräftig dreht oder die Sonne Solarstrom liefert. Mit dem kleinen, aber feinen WiE hat sich Norderstedt einen lang gehegten Wunsch erfüllt: Die Stadt wollte Forschungsstandort sein. Immer wieder wurde diskutiert, ob und wie eine Filiale der Fachhochschule Lübeck in Norderstedt eingerichtet werden kann, mit dem WiE ist das jetzt gelungen.

Durch die Kooperation der Stadtwerke, die beim zukunftsweisenden Energieeinsatz bundesweit zu den Vorreitern zählen, mit dem Fachbereich Elektrotechnik und Informatik der Fachhochschule Lübeck wurde der Grundstein gelegt. Der Standort ergab sich durch den Neubau an der Ulzburger Straße. Das Gebäude beherbergt unter der Erde nicht nur das Hochsicherheits-Datenzentrum, in dem dataport, der IT-Dienstleister für die öffentliche Verwaltung in Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Sachsen-Anhalt sowie für die Steuerverwaltung in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, seine sensiblen Daten speichert. Zu ebener Erde sind zunächst 300 Quadratmeter der wissenschaftlichen Arbeit vorbehalten, Expansion möglich.

Für den wissenschaftlichen Sachverstand stehen Cecil Bruce-Boye – der Wissenschaftler hat eine Professur für Automatisierungs- und Regelungstechnik und Leistungselektronik und lehrt seit 1991 an der Fachhochschule Lübeck, die auch mit der Tochter FHL Projekt GmbH vertreten ist. Eingebunden sind zudem Professor Wolfgang Mauch, der an der Technischen Universität München den Lehrstuhl für Energiewirtschaft und Anwendungstechnik bekleidet, und Georg Conradi, Professor für Bauwesen an der FH Lübeck – Energie und Bauen sind untrennbar miteinander verbunden, sagt Conradi.

Ums Bauen geht es aber noch nicht. Die wenig verlässlichen Zukunfts-Energien stehen im Fokus der jungen Forscher. Und dabei spielt Norderstedt bundesweit eine Vorreiterrolle. Smart Meter, moderne Stromzähler, die in Echtzeit messen, welches Gerät wann wie viel Strom verbraucht, sind schon in rund 7000 Norderstedter Haushalten installiert. Mit dem leistungsstarken Glasfasernetz von wilhelm.tel verfügt die Stadt zudem über eine Technologie, die schnelle Kommunikation in zwei Richtungen, vom Haushalt zu den Stadtwerken und umgekehrt, ermöglicht.

Simon Salvermoser ist gerade dabei, den energetischen Fingerabdruck der Norderstedter zu ermitteln. Auf dem Monitor des Münchners, der seinen Master in Elektrotechnik macht und für ein halbes Jahr in Norderstedt forscht, sind unterschiedliche Lastkurven des Stromverbrauchs zu sehen.

„Wenn ich die Verbrauchsgewohnheiten kenne, kann ich das Stromnetz entsprechend auslegen“, sagt Professor Bruce-Boye. Es lässt sich ermitteln, wie viele Blockheizkraftwerke als Sicherheitspuffer nötig sind. Jonas Vandeperre aus Lübeck befasst sich mit einer zweiten wesentlichen Säule bei der Umstellung auf Wind- und Sonnenkraft: dem Dialog mit den Verbrauchern. „Wir werden Verbrauchgewohnheiten nur ändern können, wenn die Alternativen attraktiv, lukrativ, komfortabel und sicher sind“, sagt Bruce-Boye.

Ein erstes Modell der Stadtwerke waren unterschiedlich farbige Steckdosen, eine rote für Atom- und Kohlestrom, eine grüne für die Erneuerbaren. Das aber, so der Professor, ist mit erheblichem Umbauaufwand verbunden und würde bei den Bürgern auf wenig Gegenliebe stoßen. Grundsätzlich aber seien Symbole wie eine Blume, deren Blätter sich je nach Stromart verfärben, schon der richtige Weg. „Wir müssen ein Info-System haben, das jeder unabhängig von Bildung und Sprache verstehen kann.“ Und: Wie erfährt der Verbraucher, dass gerade jetzt der Wind kräftig bläst – übers Internet, per SMS oder über eine spezielle App?

Doktorandin Mareike Redder arbeitet am Internet der Energien und bemüht fürs Verständnis ein Bild: „Windenergie, Solarstrom und die Batterie als Energiespeicher müssen dezentral miteinander reden und festlegen, wer die Elektrizität liefert, die gerade gebraucht wird.“ Wenn der eine mittags waschen oder TV sehen will, kann er den Strom vom Nachbarn nutzen. Dafür müssen die Energielieferanten kommunizieren. „Was einfach klingt, ist ein hoch komplexes Forschungsfeld“, sagt Bruce-Boye.

Ziel des WiE ist nicht das Grundlagenstudium, sondern darauf aufbauend die berufsbegleitende Weiterbildung für spätere Führungskräfte, aber auch für Handwerker.