Streit ade – Schleswig-Holstein und Hamburg gehen in Norderstedt auf Schmusekurs

Norderstedt. Hamburg hat die Strahlkraft, der Kreis Segeberg die Flächen. Hamburg hat die Hochschulen, Schleswig-Holstein die Gründerzentren – zwei Aussagen, die das Motto für die künftige Beziehung der beiden Länder untermauern sollen: Gemeinsamkeit statt Streit. Im Sprachgebrauch der Segeberger Wirtschaftsförderer von der WKS (Wirtschaft für den Kreis Segeberg), die den Segeberger Wirtschaftstag im Norderstedter Kulturwerk organisiert hatten, klang das, doppeldeutig und modern, so: „Zusammen WachSEn“. Vor rund 150 Gästen aus Wirtschaft und Politik füllten Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD), Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos), IHK-Präses Friedrike Kühnemund, Segebergs Landrat Jan Peter Schröder, Norderstedts Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote sowie Bernd Jorkisch, WKS-Aufsichtsratschef, und WKS-Geschäftsführer Ulrich Graumann den Gipfel der Gemeinsamkeit mit Leben.

Und gingen auf Schmusekurs, früherer Streit um die Windenergiemesse in Hamburg oder Husum, die Entsorgung von Hafenschlick oder das Gastschulabkommen wurde nicht mit einem Wort erwähnt. „Der eine kann ohne den anderen nicht“ – da waren sich alle einig. Hamburg als Herz der Metropolregion sei Wachstumsmotor und Magnet für Arbeitskräfte. Doch die Fläche sei begrenzt, da komme das Umland ins Spiel, das zudem seine Stärken in die Ehe einbringen könne und müsse.

„Wir müssen uns von den jetzigen Grenzen der Metropolregion verabschieden und deutlich größer denken“, forderte Wirtschaftssenator Horch. International definierten sich Metropolregionen als Räume mit zwölf bis 17 Millionen Einwohnern. Für den Norden bedeute das: Ganz Schleswig-Holstein müsse Teil der Metropolregion werden. „Das entspricht auch dem Denken in Neumünster oder Rendsburg, die in der Landesplanung nach Kiel orientiert sind. Dort werde ich immer wieder gefragt, wann die Städte endlich zur Metropolregion können“, sagte Meyer in der Diskussion, die Christian Schröder vom NDR moderierte.

Angesichts solcher Dimensionen brauche Hamburg keinen Großflughafen, sagte Horch, der damit dem Projekt Kaltenkirchen eine klare Absage erteilte. Amsterdam habe einen, Kopenhagen auch, „und hoffentlich bald auch Berlin“, und mit Hannover als Nachtflughafen sei Hamburg gut aufgestellt.

Der Kreis Segeberg fungiere als Bindeglied zwischen den Ländern und profitiere vom Zusammenwachsen. „Wir liegen hervorragend zwischen den Verkehrsachsen, der A 7, der A 1 und der A20“, sagte WKS-Geschäftsführer Graumann. Der Levo-Park auf dem ehemaligen Gelände der Lettow-Vorbeck-Kaserne in Bad Segeberg sei ein Pfund, mit dem der Kreis wuchern könne. Dort sollen sich Start-ups ansiedeln. Die kleinen Büros seien für junge Existenzgründer ideal.

19 Technologie- und Gründerzentren gibt es im Norden. „Damit ist uns Schleswig-Holstein ein ganzes Stück voraus“, sagte der Hamburger Horch. In den Innovationsschmieden fänden Absolventen der Hamburger Hochschulen gute Startbedingungen. Als „Diamant für unseren Kreis“ bezeichnete Graumann MedComm, das Gesundheitsnetz im Süden Schleswig-Holsteins, das über herausragende Kliniken verfüge – in den Augen von Minister Meyer ein wichtiger Baustein für weiteres Wirtschaftswachstum im Norden.

Eine gemeinsame Landesplanung sei nötig, gemeinsame Werbung, besser abgestimmte Ferienzeiten und eine harmonisierte Ausbildung, schließlich komme die Hälfte der Jugendlichen, die in Hamburg eine Lehre machen, aus dem Umland. WKS-Aufsichtsratschef Jorkisch forderte eine Bildung ohne Grenzen: „Wenn jemand aus Norderstedt in Hamburg zur Schule gehen will und umgekehrt, muss das problemlos möglich sein.“

Die Wirtschaft ignoriere Stadt und Ländergrenzen schon lange. Darauf habe die IHK reagiert und in Norderstedt eine gemeinsame Geschäftsstelle für Schleswig-Holstein und Hamburg eingerichtet, sagte Präses Kühnemund, die aber einem Nordstaat eine klare Absage erteilte. Was das Ignorieren von Grenzen angeht, ging Ex-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen schon vor Jahren mit gutem Beispiel voran, wie der Moderator berichtete. Als Carstensen die Kita St. Annen besuchen wollte, stellte sich in seinem Büro die Frage, ob die Einrichtung überhaupt noch zu seinem Regierungsbezirk gehört oder schon der Hamburger Senatschef zuständig sei. Die Mitarbeiter riefen in der Kita an, ein Mitarbeiter musste aber vor die Tür gehen, um antworten zu können. Und tatsächlich: Die Kita liegt so gerade eben schon auf Hamburger Gebiet, wird aber von Schleswig-Holstein finanziell gefördert, was Sinn macht, weil dort auch Norderstedter Kinder betreut werden.

17 Kilometer lang ist die Straßengrenze zwischen den beiden Bundesländern, sagte Oberbürgermeister Grote. Diesen Grenzverlauf nutzten die Anwohner der Straße Am Ochsenzoll vor Jahrzehnten geschickt aus. Sie stellten ihre Mülltonnen am Norderstedter Abholtag auf die eine und am Hamburger Abfuhrtag auf die andere Seite, zahlten für die doppelte Leerung aber nur einmal. Inzwischen, so Grote, sei das System aber synchronisiert.

„Wir Norderstedter haben viel Erfahrung, was das Zusammenwachsen angeht. Die Stadt ist aus vier Orten zusammengewachsen und dann zusammen gewachsen, von 50.000 Einwohnern bei der Gründung 1970 auf jetzt knapp 77.000“, sagte der Verwaltungschef. Das funktioniere aber nur, wenn sich die Betroffenen damit identifizieren. „Wachsen und Zusammenwachsen klappt nur, wenn die Menschen mit dem Herzen dabei sind.“