Ein Jahr lang war der Henstedt-Ulzburger Lennart Grube in Patagonien, um dort ein Freiwilliges Soziales Jahr zu absolvieren. Abendblatt-Mitarbeiterin Anne Pamperin hat mit ihm nach der Rückkehr aus Argentinien über seine Zukunft und seine Erfahrungen gesprochen

Hamburger Abendblatt:

Was hat dir das Jahr bedeutet?

Lennart Grube:

Diese zwölf Monate in dem kleinen Ort El Bolsón im Süden Argentiniens waren geprägt von einzigartigen Momenten und Eindrücken. Es war nicht eine andere Welt oder andere Menschen, aber ganz andere Lebenseinstellungen, die ich kennenlernen durfte. Die Argentinier teilten alles mit mir und gewährten mir mit ihrer offenen warmherzigen Art Einblick in ihr Leben. Wir führten Gespräche und diskutierten über die Menschheit. Alle meine Freunde dort sind Weltverbesserer, auf dem Weg durch ihr Sein und Tun unsere Erde im positiven Sinne etwas zu verändern. Das faszinierte mich. Die Leute, die ich kennenlernen durfte, waren sehr naturverbunden und zeigten mir ihre Landschaft aus allen erdenklichen Winkeln. Am schönsten waren die Wanderungen in den uralten patagonischen Andenwäldern, auf die Gipfel und durch die Flusstäler. Das Einzige, was nicht so toll an meinem Projekt in Argentinien war, dass meine Freundin und ich uns für ein Jahr trennen mussten (wir sind aber immer noch zusammen).

Hast du dich verändert?

Grube:

Ja, ich wurde in dem „Hippie-Städtchen”, wie viele es nennen, sehr entschleunigt. Dort zählt das Leben im Hier und Jetzt, über morgen macht man sich wenig Sorgen. Von meiner sportlichen Seite her, wurde ich auch ruhiger. Mein bis dahin sehr ehrgeizig geführtes Triathlontraining stellte ich ein. Das ändere ich aber jetzt wieder. Anderseits habe ich bei meiner Arbeit in der Schule mit den Kindern meine Lust am Musik machen wiederentdeckt. Ich hatte mir eine Gitarre gekauft und übte fleißig, damit ich den Musikunterricht begleiten konnte. Wenn mal keine Gitarre gefragt war, spielte ich eine argentinische Ledertrommel (bombo de cuero) oder das ebenfalls beliebte Cajon (Kasten). Der Durchschnittsargentinier besitzt wahrscheinlich zwar im Schnitt zwei oder mehr Handys, doch gewöhnte ich mir dort an, ohne auszukommen. Bis heute schaffe ich es, wobei es in Deutschland fast unmöglich geworden ist, nicht immer erreichbar zu sein.

Hat der Aufenthalt deine Zukunftspläne beeinflusst?

Grube:

Ja, ein wenig schon, schließlich musste ich mich ja während meines Auslandsaufenthaltes auch schon ein wenig um die Zeit danach kümmern. So zum Beispiel bewarb ich mich um einen Praktikantenplatz bei Blohm + Voss in Hamburg. Außerdem wollte ich im anschließenden Wintersemester anfangen zu studieren und von zu Hause ausziehen. Ich machte mir viele Gedanken über die Nachhaltigkeit unseres Handelns und darüber, wie man guten Gewissens glücklich werden, aber trotzdem Verantwortung übernehmen kann, um die Welt gerechter zu machen. Was spiele ich für eine Rolle im großen Gefüge unserer Erde? Vielleicht sind das auch ganz normale Fragen, die man sich in meinem Alter so stellt, und jeder muss dann immer wieder seine ganz individuelle Antwort darauf finden. Ob ich meine schon gefunden habe? Zumindest für die nächsten paar Tage. Jedenfalls haben mich die Argentinier gelehrt, meine Familie und Freunde in den Mittelpunkt meines Lebens zu stellen und nicht etwa die Arbeit oder gar Geld. Meine Zeit als Erzieher und manchmal Lehrerassistent ist mit diesem Jahr erst einmal vorbei, aber ich kann mir durchaus vorstellen, eines Tages meine Erfahrungen zu teilen und zu lehren.

Hast du irgendwelche Hobbys oder Angewohnheiten zum Beispiel das Essen übernommen?

Grube:

Kurz nachdem ich wieder in Deutschland angekommen war, fiel es mir reichlich schwer, die deutsche Pünktlichkeit wieder aufzunehmen. Zeit ist für viele Menschen in Lateinamerika eine Nebensache und vielerorts nicht als Taktgeber für den Tag geeignet sondern höchstens als grobe Orientierung. Während viele sich hier die Uhr vorstellen, um nicht zu spät zu kommen, würde man sich dort eher die Uhr zurückstellen, um nicht als einziger „zu früh” zu erscheinen. Was das Essen anbelangt, habe ich durch meine Selbstständigkeit und Unabhängigkeit gelernt mich selbst zu versorgen und mit wenig Zutaten noch etwas schmackhaften zu schaffen. Auch wenn mein Frühstück dort meistens aus Haferflocken und Wasser bestand. Ich brauche einfach etwas Kräftiges morgens. Da habe ich es selbst in einem Jahr nicht geschafft, mich dem kargen argentinischen Frühstück anzupassen (häufig bloß ein Tee oder Mate mit Keks). Etwas aus dem kulturellen Bereich, was sehr bei mir hängen geblieben ist und sich verwurzelt hat, ist die Wichtigkeit von Musik und Tanz. Zu jeder erdenklichen Gelegenheit wird musiziert und getanzt. Argentinien besitzt eine außerordentliche reiche Folklore. Jeder erdenkliche Anlass wird genutzt, sich der Kraft der Musik hinzugeben; nach dem Grillen, vor einer Versammlung – oder man trifft sich einfach so auf zentralen Plätzen, um Gitarre zu spielen und zu trommeln.

Bleibst du mit den Leuten in Kontakt, wenn ja, wie?

Grube:

Ja, dank des Internets kann ich sehr gut mit meinen Freunden in Kontakt bleiben. Via Facebook und E-Mail pflege ich den Kontakt mit dem engeren Freundeskreis. Einer meiner Freunde dort träumt davon, eines Tages nach Deutschland zu kommen und für ein Jahr Freiwilligenarbeit bei uns zu leisten; dabei möchte ich ihn so gut ich kann unterstützen. Ein anderer Bekannter aus Buenos Aires hat seinen Traum schon verwirklicht und arbeitet schon in einer Behindertenwerkstatt in Deutschland.

Was machst du als Nächstes?

Grube:

Seit Ende August bin ich Praktikant bei Blohm + Voss und darf dort die Grundlagen der Metallverarbeitung lernen. Insgesamt fünf Wochen, danach fängt ein Rückkehrseminar statt, um das Jahr abzuschließen. Ende des Jahres ziehe ich dann mit meiner Freundin nach Rostock – und gemeinsam werden wir dann zu studieren beginnen und einfach auf das Leben zugehen. Ich freue mich sehr auf die vor mir liegende Zeit ganz nach dem Motto Pippi Langstrumpfs: „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.” Sportlich gesehen habe ich vor etwa zwei Wochen mein Ruhepause beendet und laufe wieder regelmäßig und nehme an Volksläufen teil.

Ist deine Reiselust jetzt gestillt?

Grube:

Fürs Erste ist sie gestillt, aber wer weiß, was noch kommt!? Ich interessiere mich außerordentlich für Sprache, Kultur, Wirtschaft und Politik und denke, dass die Welt außerhalb der Landesgrenzen schon viel näher gerückt ist. Mir ist aber aufgefallen, dass ich inzwischen fast schon mehr in Amerika herumgekommen bin als in meiner Heimat. Deshalb habe ich mir vorgenommen, vor der nächsten weiten Reise erst einmal Deutschland und Europa kennenzulernen.

Beginnt jetzt der „Ernst des Lebens”?

Grube:

Nein, im Allgemeinen werde ich das einfache unbeschwerte Leben, welches ich gelernt habe, fortführen und genießen. Klar kommen immer wieder Herausforderungen, die einen auf den Boden der Tatsachen setzen und durch die man sich vielleicht durchbeißen muss, doch sind es auch immer Chancen weiter zu wachsen. Wenn man sich mehr auf das Sein, als auf das Haben konzentriert, kommt das Glück von ganz allein.