Stephen Fuchs, ehemaliger Präsident der Weltunion für progressives Judentum, war zehn Wochen in Bad Segeberg zu Gast

Bad Segeberg. Wenn Stephen Fuchs spricht, dann mit ganzem Körpereinsatz. Fuchs mag nicht sitzen bei seinen Vorträgen, auch das Pult ist ihm zu starr. Fuchs läuft umher, dreht sich, gestikuliert, und auch die Mimik spielt mit. Der US-amerikanische Rabbiner und ehemalige Präsident der Weltunion für progressives Judentum weiß seine Zuhörer in den Bann zu ziehen. In acht evangelisch-lutherischen Kirchen wird er bis zum Ende seiner Reise an diesem Sonntag gesprochen haben. Dazu kommen Vorträge und Predigten an verschiedenen Orten in Schleswig-Holstein – selbstverständlich auch in einigen Synagogen – und zuletzt zum Gedenken an die Pogromnacht in der Leipziger Thomaskirche.

Bei seinen Vorträgen spielt es auch kaum eine Rolle, dass der Amerikaner mit deutschen Wurzeln wenig Deutsch spricht. Wenn er wie in der vergangenen Woche in der Segeberger Synagoge Mishkan HaZafon (Synagoge des Nordens) über „mitfühlende Kommunikation“ spricht, dann können ihm alle folgen. Für Nichtjuden ist es eindrucksvoll, wie er aus der Thora, dem Alten Testament, zitiert, die englische Übersetzung anbringt und das Zitierte einordnet. Die deutschen Zuhörer mögen nicht alles wörtlich verstehen, aber die Botschaft kommt an und das nicht nur wegen der Übersetzung von Pastorin Ursula Sieg. Fuchs ist ein hervorragender Redner. Das konnte er an drei großen Synagogen in den USA unter Beweis stellen und auch als Präsident eines Verbandes, der 1,8 Millionen Juden in 45 Ländern vertritt.

Nach Schleswig-Holstein verschlugen ihn zwei Begegnungen mit Ursula Sieg. Die Pastorin wohnt in Bad Segeberg und arbeitet in Neumünster. Im Kirchenkreis Altholstein ist sie für Kirche und Schule verantwortlich. Zudem engagiert sie sich seit Jahren mit ihrem Mann Martin Pommerening für den interreligiösen Dialog in der Kreisstadt. Als sie vor zwei Jahren ein sogenanntes Mini-Sabbatical in Fuchs’ Heimat West Hartford im Bundesstaat Conneticut verbrachte, kam sie in Kontakt mit Fuchs. Er beeindruckte sie sofort. Ein Jahr später traf sie Fuchs in Mailand wieder, wo er als Interims-Rabbiner wirkte. Damals wuchs die Idee, ihn nach Deutschland einzuladen. Im September war es dann soweit: Fuchs kam als Interims-Rabbiner an die Kieler Synagoge und wohnt seitdem in Bad Segeberg.

Bewegt hat ihn nach eigener Aussage einiges im Norden Deutschlands. Zum Beispiel sein Auftritt in der Kaltenkirchener Michaeliskirche. Fuchs kennt die Geschichte ihres ehemaligen Pastors Ernst Szymanowski, der sich später Biberstein nannte und als SS-Offizier in der Ukraine für den Tod von 2000 bis 3000 Juden verantwortlich war. Er weiß auch, dass die evangelische Landeskirche Schleswig-Holsteins sich in den 1950er-Jahren für die Freilassung des zunächst zum Tode verurteilten Kriegsverbrechers eingesetzt hat. „Die Kirche fühlt so viel Schuld, dass sie diesen Mann als Pastor hatte“, hat Fuchs in Kaltenkirchen erlebt. Er spricht von dem Bild des zerbrochenen Kreuzes, das er dort gesehen hat. Es wurde von der Kaltenkirchenerin Hannelore Golberg in Bezug auf die Geschichte ihrer Kirchengemeinde gemalt, und Fuchs hat es sehr beeindruckt.

Auch der intensive Kontakt mit Kaltenkirchens Pastorin Martina Dittkrist sei sehr wichtig gewesen. Sie habe zur Vorbereitung auf die Predigt in der Kirche lange Zeit mit ihm und seiner Frau Victoria in der KZ-Gedenkstätte Springhirsch verbracht und ihm später verdeutlicht, wie viel der Kirchengemeinde dieser Besuch bedeute. „Sie haben mir klargemacht, dass mein Besuch ein Teil des Prozesses ist, mit der Vergangenheit umzugehen.“ Pastorin Sieg geht noch einen Schritt weiter: „Er hat den Menschen Vergebung zugesprochen.“ Zusammengefasst seien es zwei Punkte, die ihn bei seinem Besuch in Deutschland besonders beeindruckt hätten: „Das Verlangen nach Sühne für die Shoa und die Offenheit gegenüber meiner Botschaft und Gedanken.“

Ein besonderer Tag war für Fuchs der 9. November. Er verbrachte ihn in Leipzig. Bei einer Gedenkveranstaltung an die Pogrome der „Reichskristallnacht“ 1938 sprach er in der Thomaskirche. Fuchs’ Vater stammt aus Leipzig, wurde nach dem 9. November 1938 deportiert, konnte später aber in die USA ausreisen. „Mein Vater verließ Leipzig im Zug nach Dachau, nun ist sein Sohn als Gast der Stadt willkommen, das ist für mich sehr emotional, herzerwärmend und wundervoll.“

Vor der Reise gab es Bedenken sowohl in den USA als auch in Deutschland, da während des Gaza-Kriegs über ansteigenden Antisemitismus in Deutschland geschrieben wurde. „Ich glaube nicht, dass unser Besuch in Deutschland für zehn Wochen den Antisemitismus beendet oder alles wunderbar macht“, sagt Fuchs, „aber entweder bist du Teil des Problems oder Teil der Lösung.“ Dass der Rabbiner lieber Teil der Lösung ist, wird offensichtlich. Auch für Ursula Sieg ist Fuchs’ Rolle eindeutig. „Er tut, was er sagt, und man spürt das bei jeder Gelegenheit“, sagt sie. Gleichzeitig zeige der Erfolg der Predigten und Ansprachen von Fuchs, dass die Botschaft des Rabbiners gut tue. Dass er dabei den Fokus der biblischen Botschaft auf das Handeln legte, ist in ihren Augen gerade in der evangelisch-lutherischen Kirche ein willkommener Denkanstoß.