Eine Abendblatt-Leserin beobachtete den Horrorunfall auf der Schleswig-Holstein-Straße aus nächster Nähe

Norderstedt. Der Horrorunfall auf der Schleswig-Holstein-Straße ist möglicherweise ganz anders verlaufen als bisher gedacht. Bisher deutete alles darauf hin, dass der Fahrer des McLaren-Sportwagens der Unfallverursacher war. Jetzt gibt es neue Erkenntnisse: Beim Hamburger Abendblatt hat sich eine Zeugin gemeldet, die den Unfall am Sonnabend gegen 10.30 Uhr aus nächster Nähe beobachtet hat.

Dagmar Nitschke war mit ihrem Toyota Yaris ebenfalls auf der Schleswig-Holstein-Straße unterwegs, als es unmittelbar vor ihr zu dem schweren Unfall kam, bei dem zwei Menschen getötet und ein Junge schwer verletzt wurde. Direkt vor ihr fuhr der Opel Corsa, in dem ein 57 Jahre alte Norderstedter am Lenkrad saß. Dann passierte es. „Ich habe einen gewaltigen Knall wahrgenommen und sah, wie der Corsa über die Fahrbahn flog und rechts neben der Straße aufprallte“, berichtet die Lehrerin. Sie ist sicher, dass der Kleinwagen auf die Gegenfahrbahn geraten war, wo er dann frontal mit dem aus Richtung Hamburg entgegenkommenden 625-PS-Sportwagen zusammenprallte. Wie sicher ist die Norderstedterin? „Sehr sicher“, sagt sie. „Es kann nur so gewesen sein.“ Und sie bekräftigt: „Der Fahrer des McLaren hat nicht Schuld an dem Unfall.“

Dagmar Nitschke stand nach dem Unfall, der unmittelbar vor ihr geschah, unter Schock. Aber sie informierte noch am Unfallort einen Polizisten über ihre Eindrücke und trug sich in ein Zeugenbuch ein. Bis Dienstag hörte sie dann nichts mehr von der Polizei, erst dann kam eine Vorladung zur Zeugenaussage. Kai Hädicke-Schories, der Verkehrsexperte des Norderstedter Polizeireviers, erklärt, warum sie zunächst „geschont“ wurde: „Wegen des sichtlich großen Schocks wurde sie nicht gleich ausführlich vernommen.“ Das wurde gestern Nachmittag nachgeholt.

Der Norderstedter Polizist gibt zu, dass die Aussage von Dagmar Nitschke dem Fall eine neue Wendung geben könnte, aber er verweist auch auf die von der Polizei und vom Dekra-Gutachter am Unfallort festgestellten Spuren: Danach könne nur der McLaren-Fahrer von seiner Fahrbahn abgekommen sein. Viel hänge jetzt von den Erkenntnissen des Gutachters ab. „Darauf sind wir dringend angewiesen.“

Im Dekra-Gebäude am Essener Bogen in Langenhorn sitzt der Gutachter und wertet den Unfall aus, um schließlich zu einem Ergebnis zu kommen, während die beiden Autowracks auf dem Gelände des ADAC-Abschleppdienstes an der Ulzburger Straße in Norderstedt stehen. Nach etwa vier Wochen wird ein 40-seitiges Gutachten vorliegen, anhand dessen wahrscheinlich abschließend beurteilt werden kann, wer wirklich Schuld an dem Unfall hatte. Mögliche Drogen-, Medikamenten- oder Alkoholeinflüsse bei den Fahrern spielen bei der Bewertung keine Rolle: Weil beide gestorben sind, hat die Staatsanwaltschaft kein Ermittlungsverfahren eingeleitet und deshalb auch keine Entnahme von Blutproben veranlasst.

Der tödliche Verkehrsunfall auf der „Todespiste von Norderstedt“ („Kieler Nachrichten“) hat inzwischen eine Sicherheitsdiskussion auf Landesebene entfacht. SPD und FDP drängen auf eine Überprüfung der Schleswig-Holstein-Straße, weil innerhalb von zweieinhalb Jahren acht Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben gekommen sind. Die Stadtverwaltung Norderstedt würde gerne in Eigenregie auf der Landesstraße für mehr Sicherheit sorgen – darf es aber nicht. Nach wie vor schwelt der Streit zwischen der Stadt Norderstedt und dem Kreis Segeberg, wer in Zukunft für die Überwachung des Verkehrs in Norderstedt zuständig sein soll.

„Leider hat ein erneutes Gespräch zwischen Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote, dem Landrat Jan Peter Schröder und dem Wirtschaftsminister Reinhard Meyer kein Ergebnis gebracht“, sagt Hauke Borchardt, Sprecher der Norderstedter Stadtverwaltung. Der Kreis wehrt sich gegen die Aufgabe dieser Kompetenz und fürchtet Einnahmeausfälle. „Aus unser Sicht ist das nicht schlüssig: Wenn der Kreis nicht mehr in Norderstedt blitzt, kann er anderswo im Kreis tätig werden.“ Norderstedt wolle die Aufgabe nicht übernehmen, um Kasse zu machen, sondern um die Lärmminderung zu fördern und die Sicherheit zu erhöhen.

Aus Sicht der Stadt müsse auf der Schleswig-Holstein-Straße über die durchgängige Einführung von Tempo 60 diskutiert werden. Außerdem könnte das Aufstellen von vier bis fünf stationären Radaranlagen dafür sorgen, dass sich die Verkehrssituation auf der Straße insgesamt beruhige und die Autofahrer diszipliniere. „Bei der Flughafenumfahrung Fuhlsbüttel hat sich das anschaulich gezeigt: Vor der Einrichtung der Blitzanlage war das ein Unfallschwerpunkt, jetzt passiert dort gar nichts mehr“, sagt Borchardt.

Völlig anders sieht das der Direktor des Landesbetriebes Verkehr (LBV), Torsten Conradt. In einer Sitzung mit allen Beteiligten habe der LBV klar gemacht, dass er keine Veranlassung für irgendwelche Maßnahmen auf der Schleswig-Holstein-Straße sieht. Von Geschwindigkeitsreduktion hält Conradt nichts, die tödlichen Unfälle lägen in zu weiten Abständen zueinander, als das sich daraus Unfallschwerpunkte hätten ableiten lassen können. Die Griffigkeit der Straße habe im Grenzbereich gelegen, sei aber nach der Sanierung der Fahrbahn im nördlichen Teil wieder hergestellt, der südliche Teil werde ebenfalls noch saniert.

Die grüne Fraktionschefin im schleswig-holsteinischen Landtag, Eka von Kalben, hatte gemeinsam mit der grünen Fraktion in der Norderstedter Stadtvertretung eine Ampel an der Einmündung der Straße Am Exerzierplatz gefordert. Die Stadt unterstützt diese Forderung, würde auch die Kosten tragen. Doch aus von Kalbens Initiative ist bis heute nichts geworden. „Frau von Kalben setzt sich derzeit dafür ein, dass es über die offenen Fragen eine klärende Runde mit dem Wirtschaftsminister Meyer und dem dem Innenminister Stefan Studt geben wird“, sagt Hauke Borchardt.