Nach Urteil im „Tor-Unfall“ diskutiert der Sport im Kreis über die Folgen für die tägliche Arbeit auf den Plätzen

Kreis Segeberg. Effi, 7, ist tot, erschlagen von einem Fußballtor auf einem Kunstrasenplatz in Harburg. Und sein Trainer, ein 26 Jahre alter Industriekaufmann, hat es seit Montag schwarz auf weiß, dass er schuld ist am Tod des kleinen Fußballers. Der ehrenamtliche Jugendbetreuer des Clubs Dersimspor wurde vom Amtsgericht Hamburg-Harburg wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen zu einer Geldstrafe in Höhe von 420 Euro verurteilt.

Der Harburger „Tor-Unfall“ hat das Zeug, für große Verunsicherung in der deutschen Vereinslandschaft zu sorgen. Ehrenamtliche, die sich mit viel Engagement in die Jugendarbeit einbringen, müssen erkennen: Wenn irgendetwas schiefgeht, kann ich vor Gericht landen. Die Verteidigung des Betreuers sprach von einer Signalwirkung für die Szene und nannte die Einschätzung des Gerichts „lebensfremd“. Die Regionalausgabe Norderstedt des Hamburger Abendblatts hat sich im Vereinsleben des Kreises Segeberg nach Reaktionen auf das Urteil umgehört.

Kreissportverband mahnt: Vereine brauchen besser geschulte Übungsleiter

Klare Worte findet Dieter Prahl, der Geschäftsführer des Kreissportverbandes Segeberg: „Wer sollte denn sonst die Verantwortung auf dem Platz übernehmen, wenn nicht der Betreuer?“ Wer Trainer sei, müsse aufpassen, dass die Jugendspieler keinen Quatsch machen – basta. „Jeder Ehrenamtliche muss sich dieser Verantwortung stellen, sonst kann er so ein Engagement nicht übernehmen.“ Es sei Aufgabe des Übungsleiters, seinen Spielern auf dem Platz die Folgen von unverantwortlichem Handeln klarzumachen. „Und Trainer müssen wissen, dass sie fahrlässig sind, wenn sie zum Beispiel aus bloßer Bequemlichkeit die Haken von Toren nicht im Boden verankern.“

In der Trainerausbildung stehe all das auf dem Lehrplan. Die Verantwortung der Vereine sei es deshalb, in die Ausbildung der Ehrenamtlichen zu investieren. „Viele Vereine haben in der Kreisliga zwar einen guten Trainer. Aber in den Jugendmannschaften nehmen sie dann irgendeinen ohne Ausbildung, der sich weder in den medizinischen Details, noch in Sicherheitsbelangen oder im technischen Training auskennt“, sagt Prahl.

Jeder wolle dabei nur das Beste – doch das könne in einem Extremfall wie dem von Effi in Harburg dann vor Gericht enden. Die Trainer und die Eltern der Jugendlichen sieht Prahl in der Bringschuld. „Ehrenamtliche haben aufgrund des Jobs oft Zeit für nichts und entziehen sich den Lehrgängen – das darf nicht sein. Und die Eltern müssen ihren Kindern klarmachen, dass sie auf den Trainer zu hören und keinen Quatsch beim Training zu machen haben.“

Eintracht Norderstedt beschäftigt ausschließlich Lizenz-Trainer

Mit professionellen Strukturen glaubt Reenald Koch, Präsident von Eintracht Norderstedt, dem Problem am ehesten Herr zu werden. „Wir haben bei Eintracht nur mit lizenzierten Trainern Verträge. Und wir werden in unseren regelmäßigen Quartalssitzungen nicht müde, stets und ständig auf die Sicherheit auf dem Platz hinzuweisen.“ Außerdem werde von jedem Trainer, auch im Jugendbereich, ein erweitertes Führungszeugnis verlangt. Koch: „Das macht außer uns kaum einer. Da sind wir ganz weit vorne.“ Zu verhindern seien Unfälle wie der von Effi in Harburg grundsätzlich nur schwer. Aber auch Koch sieht es wie Dieter Prahl: Wer als Trainer Fahrlässigkeit an den Tag legt, der muss sich verantworten.

Norbert Lehmhagen: Ein Coach darf niemals alleine auf dem Platz stehen

„Mir war vom ersten Tag meines Engagements als Trainer klar: Du stehst mit einem Bein im Knast.“ Norbert Lehmhagen, 60, ist seit fast 20 Jahren ehrenamtlicher Trainer beim Glashütter SV. Momentan trainiert er dreimal die Woche die 1. B-Jugend des Vereins in der Hamburger Landesliga. Keine Sekunde habe er angesichts des Urteils im Tor-Prozess daran gedacht, sein Ehrenamt aufzugeben. „Es macht einfach zu viel Spaß.“

Doch Lehmhagen sieht es mit Sorge, dass bei den Kleinen in der F- oder G-Jugend Mütter oder Väter als Trainer oder Betreuer „reingeschmissen“ werden. „Ich bin enttäuscht von den Vereinen, dass die nicht mehr darauf drängen, die Leute aus- und weiterzubilden, sie wenigstens die Basisscheine machen zu lassen.“

Er kann das jedem nur raten. „Vernünftige Ausbildung ist das A und O. Außerdem musst du als Trainer gewährleisten, dass du nie alleine bist. Ich habe immer meinen Co-Trainer oder Väter mit auf dem Platz.“ Ohne das Engagement der Eltern gehe es nicht. Lehmhagen: „Aber es gibt immer mehr Leute, die die Vereine nur als Betreuungsstation missbrauchen. Und wenn was schiefgeht, klagen sie gleich.“

Hans-Gunter Lorenz ist beim Training oft der einzige Erwachsene auf dem Feld

„Das ist mein Berufsrisiko. Mir tut es leid für den jungen Kollegen. Wenn mich Eltern anzeigen wegen einer fahrlässigen Körperverletzung oder etwas Schlimmerem, bin ich als Privatperson in der Schusslinie“, sagt Hans-Gunter Lorenz, 61, der beim SV Henstedt-Ulzburg das 1. F-Junioren-Team trainiert; zuvor bereits fast drei Jahrzehnte bei den Vorgängerclubs FC Union Ulzburg und MTV Henstedt mit Nachwuchskikkern arbeitete.

„Beim Training bin ich meist der einzige Erwachsene auf dem Platz und dann eben für alles verantwortlich. Wir Trainer machen oft alles – da sind wir Tausendfüßler mit so vielen Armen wie ein Krake. Allein ist es nicht einfach, wenn 14, 15 Jungs durcheinander toben“, so Hans-Gunter Lorenz. „Aber ich habe eine Pflicht übernommen.“

Tim Kossik, 29, betreut seit neun Jahren ehrenamtliche Jugendfußballteams des TuRa Harksheide, Norderstedts größtem Sportverein, ist darüber hinaus in leitender Funktion für den Nachwuchs mitverantwortlich, daher fast täglich auf der Sportanlage am Exerzierplatz anzutreffen. „Wir wollen das Thema auf unserer nächsten Jugendsitzung ansprechen“, sagt Kossik, der momentan die A-Jugend coacht.

Gerne hätte TuRa auch, dass jeder Übungsleiter eine Erste-Hilfe-Ausbildung vorweisen kann. „Das bezahlen wir als Verein. Es ist auch wichtig, dass das Wissen alle zwei Jahren aufgefrischt wird“, so Kossik. Eine strikte Vorgabe seitens des Hamburger Fußball-Verbandes, dass jeder Betreuer und Coach, unabhängig der Altersklasse, entsprechend geschult werden müsse, gibt es jedoch nicht. Und bei den Harksheidern ist die Resonanz „überschaubar“, räumt Tim Kossik ein.