Die Erinnerungswerkstatt Norderstedt wird zehn Jahre alt. Mehr als 40 Autoren haben rund 900 persönliche Erlebnisse aufgeschrieben

Norderstedt. 130 Leser pro Tag in 141 Ländern und ein Buch, dessen erste Auflage in nicht mal drei Monaten vergriffen war: Die Erinnerungswerkstatt Norderstedt ist ein Erfolgsmodell. Von den ersten Schritten bis jetzt sind zehn Jahre vergangen – der runde Geburtstag ist Anlass für die Männer und Frauen, die als Zeitzeugen ihre ganz persönlichen Geschichten im Internet veröffentlichen, zurückzublicken.

„Die Idee zu einer Zeitzeugengruppe ist im Seniorenbeirat entstanden, wir wollten aber kein Erzählcafé gründen, sondern ein Medium wählen, mit dem wir junge Menschen ansprechen können“, sagt Hartmut Kennhöfer, einer der Initiatoren. Also das Internet. Fritz Schukat habe das Projekt vorangetrieben und suchte jemanden, der technisch versiert ist. Da kam Kennhöfer ins Spiel, der seit den Anfängen den Internet-Auftritt betreut. Am 2. November 2004 traf sich etwas mehr als eine Handvoll ältere Frauen und Männer und bildete eine freie, offene, unabhängige und private Gruppe. „Allen gemeinsam war die Lust am Erzählen und Schreiben über das, was sie selbst erlebt hatten – mit allen Höhen und Tiefen, mal lachend, schmunzelnd oder traurig. Außerdem wollten sie es auch anderen Menschen mitteilen und Zeitzeugen sein“, schreibt Günter Matiba auf der Homepage der Erinnerungswerkstatt.

Die Autoren begannen den Kampf gegen das Vergessen, schrieben auf, wie das Leben ablief, als es noch keine Smartphones, keine PCs und keine voll gepackte Freizeit gab. Als kein Geld da war, um angesagte Klamotten in Boutiquen zu kaufen, als noch fliegende Händler durch die Dörfer zogen, Kinder auf Bäume kletterten, mit wild gewordenen Schwänen kämpften, aber auch schon früh mit anpacken mussten. Der Zweite Weltkrieg und die Jahre davor und danach dominieren die Erinnerungen, Nazi-Terror, Flucht, Gefangenschaft, Entbehrungen.

Mehr als 40 Autoren haben bisher rund 900 Geschichten geschrieben. „Leider sind inzwischen einige gestorben. Die Zahl der Zeitzeugen schwindet. Deswegen lautet unser Appell: Schreibt auf, solange ihr es noch könnt“, sagt Kennhöfer. Nur so werde Geschichte lebendig und authentisch. Der Appell fruchtet: Im Moment erlebe die Erinnerungswerkstatt geradezu eine Textflut, viele Kriegsberichte, auch sein Vater habe einen Erinnerungsbrocken verfasst, ein anderer von seiner Zeit als Fallschirmjäger berichtet. Lange blieben die Männer stumm, Schrecken und Leid wirkten traumatisch nach, blockierten das Gedächtnis. „Schreiben ist auch Therapie“, sagt Kennhöfer. So mancher Autor scheibe sich eine Last von der Seele, gibt Erlebnissen Buchstaben, die tief vergraben wurden, weil sie das Überleben und ein halbwegs normales Leben gefährdet hätten.

Die Jungen lesen, was die alten berichten. „Die Resonanz zeigt, dass wir unsere Zielgruppe erreichen“, sagt Kennhöfer. Neben den jungen Leuten seien auch viele 40- und 50-Jährige unter den Lesern, eine Altersgruppe, die von den Eltern wenig erfährt oder erfahren hat, aber wissen will, was damals passiert ist. Das haben 19 Autoren auch in einem Buch aufgeschrieben. „Das ist eigentlich nicht das Mittel unserer Aufklärung, aber zum runden Geburtstag haben wir uns das mal gegönnt“, sagt Kennhöfer – und auch dieses Projekt wurde ein Erfolg. Ende Juli kam das persönliche Erinnerungs-Buch auf den Markt, am 20. Oktober war es vergriffen. Nun wird die Geschichten-Sammlung neu aufgelegt. Das Buch, das im Norderstedter Kadera-Verlag erschienen ist, kostet zwölf Euro und ist im Buchhandel, beim Kadera-Verlag, im Internet und über die Erinnerungswerkstatt unter www.erinnerungswerkstatt-norderstedt.de zu haben. Ausgeliehen werden kann das Werk in der Stadtbücherei Garstedt.

Wer Lust hat, seine Geschichte für die Erinnerungswerkstatt aufzuschreiben, kommt einfach zu den Treffen an jedem zweiten Dienstag im Monat ab 9.45 Uhr im DRK-Haus an der Ochsenzoller Straße 124 oder nimmt über www.erinnerungswerkstatt-norderstedt.de Kontakt auf.