Er war enorm fleißig, sie hat den Haushalt geschmissen: Johannes und Käthe Voß sind 70 Jahre verheiratet

Ellerau. Nicht immer waren sie ein Herz und eine Seele. Doch jetzt rutscht Käthe Voß ganz dicht an ihren Hannes heran, drückt ihm einen Kuss auf die Wange. Schließlich hat er immer zu ihr gestanden, und gemeinsam haben sie geschafft, was nur wenigen vergönnt ist: Das Ehepaar aus Ellerau feiert am heutigen Dienstag Gnadenhochzeit. 70 Jahre sind die beiden verheiratet. Ihre Geschichte ist zugleich ein Stück Zeitgeschichte, der erste Besuch bei ihren Eltern im Bombenhagel, Krieg in Russland, Verwundungen, die bis heute nachwirken, Entbehrungen und Mangel, Fleiß und Disziplin, aber auch Freude und Glück.

Johannes, genannt Hannes, kam am 27. November 1922 in Nortorf zur Welt, lernte Schlachter und wurde eingezogen. Nach Russland ging die Kriegsreise, bis der Soldat verwundet wurde und in Wentorf nahe Hamburg genesen sollte. Der nächste Transport gen Osten war schon geplant, doch Hannes und einige Kameraden wollten vorher noch ein bisschen Vergnügen. Sie fuhren auf die Reeperbahn, vor dem Kino, das es heute nicht mehr gibt, stand Käthe Reusch. Die „schmucke Deern“, ein gutes halbes Jahr jünger als er, gefiel dem Mann vom Land. Er sprach sie an, und sie fand ihn ganz passabel.

Die Beziehung entwickelte sich, Hannes wurde zum Besuch bei Familie Reusch geladen – und schlug im Wortsinn „bombig“ ein. Als er auf dem Weg zu den Schwiegereltern in spe war, legten die Briten mit der Operation „Gomorrha“ Hamburg in Schutt und Asche. Der Tisch im Wohnzimmer der Eidelstedter Wohnung war gedeckt, der Kaffee dampfte, als die Sirenen Fliegeralarm heulten. Familie Reusch flüchtete in den Keller, nur Hannes wollte nicht runter. Eine gewaltige Druckwelle katapultierte ihn durchs Fenster. Er sah den Nachbarn, eingeklemmt unter Mauertrümmern und Holzbalken, das Bein gebrochen, und schaffte es, selbst noch verletzt, den Mann zu befreien.

Noch im Krieg zogen die beiden nach Nortorf, lebten auf dem Dachboden bei seinen Eltern und heirateten. Die Braut ganz schick in ihrem geliehenen Kleid mit einem vier Meter langen Schleier. Sieben Kilometer war der Bräutigam geradelt, um aus einem Garten Dahlien für den Brautstrauß zu pflücken.

Als 1946 Tochter Jutta geboren wurde, reichten die 18 Reichsmark, die der junge Vater mit Hausschlachtungen verdiente, nicht mehr. Mit seinem Vater schlug er Holz im Wald, jeden Tag mussten die beiden 20 Raummeter abliefern. Morgens um 6 Uhr 18 Kilometer mit dem Rad hin, gegen 21.30 Uhr waren sie wieder zurück – eine echte Plackerei, wie sich der Jubilar erinnert.

Die harte Arbeit blieb lange ständiger Begleiter der beiden. 1949 kam Karl-Heinz zur Welt und Käthe geriet zunehmend mit den Schwiegereltern aneinander. Sie flüchtete zu ihren Eltern nach Hamburg, doch Hannes ließ nicht locker, er wollte seine Käthe nicht verlieren, zog mit ihr und den Kindern zu ihren Eltern. Auch dort wurde es zu eng, Hannes pachtete ein Grundstück mitten im Ohemoor, abseits der Zivilisation und schwer zugänglich. Inzwischen hatte er bei einer Tiefbaufirma angeheuert und eine alte Wehrmachtsbaracke abgestaubt, die er über die vorhandene Bude setzte. „Nach dem Dienst habe ich mit den Kollegen Mauerreste und anderes stabiles Zeug hingefahren und damit einen festen Weg gebaut. Bis dahin konnten wir unser Haus nur mit Gummistiefeln erreichen“, sagt Hannes Voß. „Das war eine schwere, aber auch eine glückliche Zeit“, ergänzt seine Frau, die im Garten rackerte und Gemüse anbaute. Aus dem Behelfsheim wurde ein gemütliches Zuhause.

Als die Start- und Landebahn nach Garstedt verlängert wurde, endete die Glücks- und Ruhephase im Moor. Die Familie zog Ende 1963 in eine Vier-Zimmer-Wohnung nach Groß-Borstel. 198 Mark kostete die Miete, zum Schluss waren es 650 Euro.

Das erste Auto war ein VW Käfer. Doch der Stolz seines Besitzers stand unter einem unglücklichen Stern. Er brachte die Familie bei der ersten großen Reise 1966 zwar an den Rhein und zurück. Doch seine Affinität zu Straßenbahnen wurde dem Käfer zum Verhängnis. Erst fielen ihm Oberleitungen aufs Dach, dann kollidierte er mit einer Straßenbahn und erlitt Totalschaden.

Käthe befand: Hannes muss Beamter werden, wegen der Sicherheit und der Pension. So holte ihr Mann ab 1957 als Kraftfahrer für die Post Pakete vom Hühnerposten am Hauptbahnhof und lieferte sie am Dammtor wieder ab, von dort wurden sie weiter verteilt. 1959 wird Tochter Carola geboren, 1972 Tanja, das erste von sieben Enkelkindern. Sie zu betreuen, wurde zur neuen Lebensaufgabe von Hannes und Käthe Voß. „Sie hatten nie viel Geld, aber immer viel Zeit, vor allem für die Enkel“, sagt Carola.

Immer wieder müssen Opa und Oma gesundheitliche Rückschläge verkraften. Käthe Voß besiegt den Krebs, bei ihrem Mann brechen immer wieder alte Kriegswunden auf. Doch die beiden lassen sich nicht unterkriegen, passen einfach gut zusammen. Er ist immer enorm fleißig gewesen, sie hat als gelernte Hauswirtschaftsmeisterin „den Haushalt geschmissen, Feste organisiert und das Geld zusammengehalten“, sagt Tochter Carola.

Vor einem Jahr ist das Jubelpaar von Groß Borstel in eine behindertengerechte Wohnung nach Ellerau gezogen. Dort werden sie heute auch das Hochzeits-Jubiläum feiern, ruhiger als früher, aber dankbar für die lange gemeinsame Zeit.