Als Franco Scaturro, Michael Vega und Klaus Schöppach ihre schweren Maschinen besteigen und die Norderstedter Ohechaussee in Richtung Autobahn 7 entlang fahren, ist die Gefahr bereits gebannt.

Das Einfädeln an der Anschlussstelle Schnelsen-Nord klappt problemlos, Vega und Schöppach können zum ersten Mal richtig am Gashahn ihrer Zweizylinder-Viertakt-Boxermotoren drehen, der Fahrtwind wird stärker.

Was die drei Helfer zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Nur eine halbe Stunde zuvor hat hier ein Autofahrer die Katastrophe verhindert. Ein Geisterfahrer ist mit seinem Mazda in Schnelsen in falscher Richtung auf die A7 gefahren. Kurz vor der Anschlussstelle Schnelsen-Nord stoppte ihn ein Autofahrer; mit seinem Anhängergespann blockierte er zwei Fahrstreifen und brachte den Mazda zum Stehen.

Ein Geisterfahrer, der die A 7 Richtung Norden entlang rast – das wäre er vermutlich gewesen, der Ernstfall, für den Schöppach, Scaturro und Vega sich an diesem Sonnabend in ihrer Freizeit auf den Weg zur Autobahn gemacht haben. Als einzige Motorradstaffel des KBA im Norden der Republik versorgen die Männer als sogenannte „first responder“ Unfallopfer, helfen Liegenbleibern, unterstützen die Rettungskräfte auf Großveranstaltungen wie Radrennen und Marathons. KBA – das ist der Verein für Krankentransport, Behinderten- und Altenhilfe. Gebraucht wird die Motorradstaffel immer dann, wenn es eng wird; normale Rettungsfahrzeuge und Feuerwehren kommen dann nicht schnell genug durch. Die speziell ausgerüsteten Motorräder sind wie geschaffen für solche Situationen.

Durch den beherzten Einsatz des Autofahrers ist die Autobahn bereits wieder frei, der Verkehr fließt. Klaus Schöppach, Leiter der Motorradstaffel, fährt auf seiner BMW R 1200 RT voran. Am Heck der Maschine blitzt ein Blaulicht in der Sonne, die grelle Klebefolie und die neonfarbenen Schutzjacken lassen die Maschinen und ihre Fahrer auffallen. Franco Scaturro sitzt heute auf seinem privaten Motorrad, um den Reporter als Sozius mitzunehmen. Michael Vega fährt auf dem Dienstmotorrad hinterher, das Gespann bewegt sich meist auf der rechten Fahrspur, bei Stau oder stockendem Verkehr fahren die Männer auf den Standstreifen, werden langsamer. Aufmerksam beobachten sie die Autofahrer, über jeden Rastplatz fahren sie auf ihrer Suche nach hilfsbedürftigen Reisenden.

„Ein bisschen Enthusiasmus gehört sicher dazu“, sagt Franco Scaturro. Er arbeitet in einer Druckerei in Ahrensburg und könnte jetzt auch zu Hause vor dem Fernseher sitzen. Stattdessen ist er mit seinen Kollegen von der Motorradstaffel unterwegs. Die Hilfe, die die drei KBA-Retter anbieten, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Scaturro hat schon den schwer verletzten Opfern eines Unfalls mit einem schweren Lkw geholfen. „Wenn ich mit der Motorradstaffel losfahre, bin ich auf das Schlimmste vorbereitet“, sagt er. „Bei Alarmierung musst du funktionieren und darfst keine Gefühlsbindung zu den Personen aufbauen.“ Andererseits befinden sich in den blechernen Seitenkästen von Scaturros Maschine auch Malbücher, nicht immer geht es um Leben oder Tod, oft helfen die Männer auch, wenn eine Familie stundenlang im Stau steht. „Mit den Malbüchern können wir die Kinder erst einmal ablenken, wenn die Situation im Stau eskaliert“, sagt der 51-Jährige.

Auf dem Weg in den Norden ist es ruhig an diesem Wochenende, in der Gegenrichtung bilden sich immer wieder kleine Staus. Die letzten Urlauber fahren mit ihren Familien zurück in den Süden, die Kennzeichen kommen aus Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen.

In Neumünster kehrt das Gespann zu einer Kaffeepause bei der Autobahnpolizei ein. Für die Polizisten ist die Unterstützung durch ehrenamtliche Retter auf dem Motorrad neu. Die drei Männer melden sich bei der Polizei-Leitstelle per Funk an, bevor sie losfahren. Bei Notfällen werden sie so alarmiert. In Neumünster schreiben sich die Polizisten trotzdem zur Sicherheit die Handynummern der KBA-Motorradfahrer auf.

Besonders brauchen werden die Beamten die Hilfe der Ehrenamtler im kommenden Jahr. Sobald die Ausbauarbeiten für die A 7 beginnen, rechnen auch die Polizisten mit deutlich mehr Unfällen als zurzeit. Durch die Verengung der Fahrstreifen kann es bei einem Unfall schnell passieren, dass die Autobahn voll gesperrt werden muss, damit die Rettungs- und Bergungskräfte an den Unfallort gelangen können. An den besonders kritischen Wochenenden werden Schöppach und seine Männer deswegen in Absprache mit der Polizei auf der Autobahn unterwegs sein.

Dann plötzlich der erste Ernstfall an diesem Tag für die Motorradstaffel. Auf Höhe Kilometer 109 Richtung Süden ist ein grüner Familienwagen liegengeblieben. Die Familie mit drei Kindern kommt aus dem Urlaub an der Nordspitze Dänemarks, will zurück nach Winsen an der Luhe – jetzt aber qualmt und streikt der Motor. Die Motorradstaffel sichert sofort die Standspur ab, Michael Vega bleibt etwa 50 Meter hinter dem liegengebliebenen Auto auf der Standspur stehen und warnt die vorbeifahrenden Fahrer. Während Klaus Schöppach das Warndreieck aufstellt, ist der Familienvater verwundert über die unverhoffte Hilfe: „Wir standen nur eine Minute hier, das ist ein glücklicher Zufall sagt er. Hoffentlich ist der Motor heil geblieben.“ Der Abschleppwagen nimmt die fünfköpfige Familie kurze Zeit später mit, für sie geht es nun mit dem Taxi nach Hause.

Die drei Zweiradfans fahren die Schichten mit der Motorradstaffel zwar ehrenamtlich, für den Ernstfall aber sind die KBA-Retter gut ausgebildet: Michael Vega ist Rettungsassistent, Klaus Schöppach Rettungssanitäter und Franco Scaturro Sanitätshelfer. „Heute müssen wir viel mehr können als früher“, sagt Klaus Schöppach. Die Technik sei einerseits komplizierter, andererseits würden dadurch mehr Leben gerettet. „Nicht alle können diese hohen Ansprüche aber in ihrer Freizeit erfüllen“. Der 56-Jährige ist beruflich Betriebswirt und Gesundheitsökonom, schon in Niedersachsen hat er bei den Johannitern eine Motorradstaffel aufgebaut. Als er nun hörte, dass in Norderstedt unweit seines neuen Wohnortes Maschinen in der Garage stünden, ohne dass der KBA die entsprechenden Fahrer zur Verfügung hat, fasste er sich erneut ein Herz. Seit Mai arbeitet er daran, die Motorradstaffel auch in Norderstedt aufzubauen und professionell auszustatten. Zuvor waren die Maschinen seit August 2013 nicht mehr genutzt worden. Die Fahrer hatten den KBA verlassen, kurz nachdem die Organisation die Motorräder angeschafft hatte.

Inzwischen hat Klaus Schöppach 25.000 Stunden ehrenamtlich in seinem Leben gearbeitet, kalkuliert er. Scaturro und Vega geht es ähnlich. „Was wir brauchen, sind definitiv keine Blaulicht-Junkies und keine Cowboys“, sagt Schöppach. „Wir müssen immer zuerst auf die Eigensicherung achten.“ Dass ein Auto ausschert und die Retter auf dem Standstreifen gefährdet, sei keine Seltenheit. „Auch die Polizisten mustern uns ehrenamtlichen Helfer ganz genau“, sagt er. Schließlich müssten sich die Beamten auf die Unterstützung des KBA verlassen können.

Keine 100 Meter entfernt von dem gestrandeten Pkw wartet schon der nächste Einsatz auf die Männer. Eine Motorradfahrerin sitzt neben ihrer Maschine an der Autobahn im Gras. Gut gelaunt kommt sie den KBA-Rettern entgegen. Den ADAC hat die Frau schon verständigt.

Und so brechen Schöppach, Vega und Scaturro abermals auf, um zwei Minuten später wieder anzuhalten. Ein Auto steht auf dem Standstreifen; ein Unfall ist es nicht, der Fahrer will nur eine Pause einlegen, ein bisschen ärgerlich verweist ihn Schöppach auf den nächsten Rastplatz.

Auch auf dem Rest des Weges zurück nach Norderstedt ist heute nichts mehr los. Selbst der Stau hält sich in Grenzen. Alles in allem sei es sei ein ruhiger Tag gewesen, bilanzieren die KBA-Retter – zu verdanken haben sie das vor allem dem Mann, der mit seinem beherzten Eingreifen den Geisterfahrer stoppte.