Die Norderstedter Tafel schlägt Alarm: Die Flut der Flüchtlinge sorgt für Überforderung der Einrichtung

Norderstedt. Mitarbeiter der Norderstedter Tafel schlagen Alarm: Sie haben zu wenige Lebensmittel für zu viele Bedürftige. Am Dienstag und am Freitag, den beiden Ausgabetagen in der Woche im Gebäude der Tafel an der Stormarnstraße, sind die Schlangen neuerdings extra lang. „Letzten Freitag hatten wir für unsere 155 Kunden nur drei Körbe mit Joghurt und Quark in der Kühlkammer, insgesamt nur etwa 60 Stück. Keine Milch, Butter und Margarine. Die Lage ist dramatisch“, sagt Susanne Lüthje, Ehrenamtliche bei der Norderstedter Tafel. Normal waren an Freitagen bisher maximal 120 Bedürftige. „Doch jetzt kommen die vielen Flüchtlinge dazu. An manchen Freitagen hatten wir schon 180 Kunden.“

Nicht weniger angespannt sei die Lage an den Ausgabestellen der Tafel in Henstedt-Ulzburg, in Ellerau, in Hamburg-Langenhorn und Hummelsbüttel. Verschärft werde die Situation durch sinkende Lebensmittel-Spenden. Die Unternehmen seien zunehmend darauf bedacht, ihre Lagerbestände wirtschaftlich zu verwalten, um möglichst wenig Ware verschenken zu müssen. Die Norderstedter Tafel steht mit ihren Problemen nicht allein da. Überall in Deutschland zeigen sich Überforderungstendenzen bei den Tafeln.

In Norderstedt werden Flüchtlinge von den ehrenamtlichen Willkommen-Teams auf die Existenz der Tafel aufmerksam gemacht. Was gut gemeint ist, lenkt eigentlich von der Fürsorgepflicht des Staates ab. „Die Tafeln sind sicher nicht dazu da, die Flüchtlinge mit Lebensmitteln zu versorgen. Auch wenn wir natürlich keine Bedürftigen ohne Lebensmittel vor der Tür stehen lassen“, sagt Frank Hildebrandt, Sprecher der Tafelstiftung in Hamburg und Schleswig-Holstein. Doch es gebe gerade in strukturschwachen Regionen die Tendenz, dass ehrenamtliche Flüchtlingshelfer auf sich gestellt bleiben. Hildebrandt: „Die öffentliche Hand schaut zu und sagt: Macht doch mal!“

Nach dem gerade überarbeiteten Asylbewerberleistungsgesetz bekommen Flüchtlinge 352 Euro monatlich. In Norderstedt werden ihnen zusätzlich Lebensmittelmarken ausgehändigt, die sie im Einzelhandel einlösen können. Kleidung können sie sich in der Kleidungskammer des Deutschen Roten Kreuzes holen, Möbel im Gebrauchtwarenkaufhaus „Hempels“ und Spielzeug für die Kinder bei der Toys Company des Dekra, einem Arbeitslosen-Projekt, bei dem gespendetes Spielzeug verwertet wird. „Und es darf eigentlich nicht sein, dass wir die Flüchtlinge gezielt wegen der Lebensmittel zur Tafel schicken“, sagt Hauke Borchardt, Sprecher der Stadt. Bis zum Anruf des Abendblatts war ihm dieser Umstand so auch nicht bekannt. Auch Borchardt sieht die Stadtverwaltung in der Pflicht, sich um die ausreichende Versorgung der Flüchtlinge zu kümmern.

Den Hilferuf von der Tafel nehme die Stadt sehr ernst. „Vielleicht sollten sich alle Beteiligten mal einen Tisch setzen und Lösungen diskutieren“, sagt Borchardt. Aus seiner Sicht sind auch für Bedürftige genügend Lebensmittel verfügbar. „Man muss sie nur entsprechend kanalisieren. Wenn Mangel besteht, lässt der sich sicher abstellen.“

Tafel-Mitarbeiterin Susanne Lüthje hat angesichts des kommenden Erntedank-Festes ein pragmatische Idee, wie diese „Kanalisierung“ aussehen könnte. „Beim Erntedank-Umzug werden doch immer Lebensmittel an die Zuschauer verteilt“, sagt Lüthtje. Jedes Mal denke sie dabei: Da nehmen die, die es nicht nötig haben. „Dabei gibt es doch so viele, die auf Spenden angewiesen sind. Warum es nicht denen geben?“

Carolin Paap, Pastorin der beim Erntedank-Umzug engagierten Paul-Gerhardt-Kirchengemeinde, nennt das eine gute Idee. „Alles, was wir zu Erntedank in unserer Kirche an Lebensmittel aufbauen, haben wir bisher dem SOS-Kinderdorf gespendet. Dieses Jahr geben wir das alles der Tafel.“ Was die Lebensmittelgeschenke beim Umzug angeht, also die Gratis-Kohlköpfe, Gratis-Kartoffeln und Gratis-Äpfel, so will der Ausrichter des Umzugs, die Stadt Norderstedt, von diese Tradition nicht abrücken. „Es ist guter Brauch, dass wir diese Lebensmittel an die Leute verschenken und sie so für die Landwirtschaft sensibilisieren“, sagt Hauke Borchardt. „Außerdem handelt es sich um Lebensmittel im Gegenwert von vielleicht 1000 Euro. Das hilft der Tafel nicht wirklich weiter.“