Die Geschichten der Flüchtlinge, die auf ihrer Odyssee in den Unterkünften der Stadt am Buchenweg und an der Lawaetzstraße gestrandet sind

Der syrische Bürgerkrieg ist gleich hinter der U-Bahn-Haltestelle Richtweg zu finden. An einem Tisch auf der grünen Wiese. Da sitzen vier Männer, daneben im Gras hocken vier weitere. Der Tisch steht vor einem der verwohnten, hellblauen Holzhäuser, die Norderstedt seit Jahren denen anbietet, die sonst nirgends unterkommen können. „Abgängig“ seien die Hütten, sagt die Stadtverwaltung. Jetzt ist sie froh, dass sie sie überhaupt hat, um die Flut der Flüchtlinge zu bewältigen.

Die Männer schweigen, einige rauchen, andere tippen auf Mobiltelefonen. Manche blicken einfach ins Leere. „Hello. Do you speak English?“ Bewegung kommt in die versteinerten Gesichter der Männer. Mohamed Mustafa, 26, dreht sich um: „English, Arabic, a little bit German – what ever you want! Hello and wellcome!“

Wir einigen uns auf Englisch. Mohamed Mustafa stellt dem Besucher von der Zeitung die Gruppe vor. „Wir kommen alle aus Syrien. Es ist unser zweiter Tag in Norderstedt. Die meisten von uns waren über Monate auf der Flucht.“

Um besser reden zu können, gehen wir ins Haus. Dort leben die Männer gemeinsam in zwei Räumen: Ein Schlafzimmer mit vier Stockbetten, ein Aufenthaltsraum mit einem Tisch und Stühlen, dazu eine kleine Küche und ein noch kleineres Bad. Die Männer haben die Rucksäcke mit ihrer wenigen Habe noch nicht ausgepackt. „Damit wir jederzeit wieder weg können“, sagt einer. „Denn im Rathaus haben sie uns gesagt, das hier wäre nur vorübergehend“, sagt Mohamed Mustafa. Als er von den enormen Problemen der Stadt bei der Suche nach Unterkünften erfährt, wird er stutzig. „Haben die uns angelogen?“ Doch die Männer sind dankbar, in Sicherheit zu sein. „Deutschland ist ein wunderbares Land. Die Menschen sind sehr nett und hilfsbereit“, sagt Mustafa.

In der kleinen Küche wird der Herd angeworfen. Die Männer lassen ihre Lage nicht als Entschuldigung für mangelnde Gastfreundlichkeit gelten. Wenige Minuten später stehen Becher mit dampfendem Instant-Kaffee auf dem Tisch. Mohamed Mustafa erzählt, er komme aus Aleppo, habe dort englische Übersetzung studiert und immer den Plan gehabt, für ein Studium nach Deutschland zu kommen. Dann kam der Krieg, und Deutschland wurde vom Studien- zum Zufluchtsort. Geschafft hat Mustafa den Weg nach Deutschland, wie alle anderen am Tisch: mit Menschenschmugglern über die Türkei, Griechenland, Italien und Frankreich. Bis zu 16 Monate dauerten die Irrfahrten der Männer am Tisch.

Aufgebracht erzählt einer von ihnen, wie er über einen Monat auf einem Seelenverkäufer im Mittelmeer dümpelte, wie er schließlich über Italien nach Frankreich kam. Dann klingelt sein Handy. Er spricht wenige Sätze. Seine Augen werden feucht. Er legt auf und schweigt. Mohamed Mustafa: „Seine Kinder leben in einer Ortschaft, in der sich rivalisierende Islamisten jeden Tag mit schwerem Gerät beschießen. Er bekommt jeden Tag die Hilferufe seiner Familie zu hören. Doch niemand hört ihm zu, niemand holt seine Familie da raus.“

Alle hoffen, ihre Angehörigen aus Syrien herauszubekommen. „Ich habe mit meinem Bruder in Aleppo telefoniert. Er wird dort auf der Straße ständig von radikalen Islamisten angegangen, die ihn in den Dschihad ziehen und ihm eine Gehirnwäsche verpassen wollen. Bisher ist er ihnen gerade noch entkommen“, sagt Mustafa. Was werden wird in ihrem Land, wie die Lösung sein kann – die Gesichtszüge der Männer werden wieder wie versteinert. „Es ist alles vorbei. Syrien wird es nicht mehr geben. Es wird ewig Krieg sein. Und doch würden wir lieber gestern als heute zurück“, sagt Mustafa. Er lächelt. Seine Augen verraten seine Verzweiflung. Die anderen schweigen, rauchen und blicken ins Leere.

Hellblau sind die Häuser am Buchenweg. Und Hellblau sind auch die zunehmend maroden Unterkünfte der Stadt an der Lawaetzstraße. Soll das positiv auf die Leute wirken? „Entschuldigung. Ich bin völlig betrunken. Aber anders halte ich es hier nicht aus.“ Mehmet, 55, lebt seit fünf Jahren in einer winzigen viereckigen Bude an der Lawaetzstraße, er teilt sie mit einem Sittich in einem großen Käfig. „Der hat es besser als ich.“ Mehmet sagt, er komme hier nicht weg. „Ich hab Probleme, Alkohol, Schulden, kein Geld, alles Scheiße.“ Und jetzt strömen die vielen Flüchtlinge in die Unterkunft. „Das wird alles zu eng. Das gibt hier Ärger. Die bekommen alles in den Hintern geschoben. Und ich muss um alles kämpfen“, sagt Mehmet. „Komm, ich stell dir alle vor.“ Denn in Wahrheit hilft Mehmet den Neuankömmlingen auch, wo er kann.

Einige Männer aus Eritrea stehen verlegen herum. Mehr als ein Handschlag und ein „Hello“ ist nicht drin. Auf dem Spielplatz spielen adrette Mädchen mit Kopftüchern. Auf der Wiese neben dem Haus liegt eine Mutter erschöpft im Gras und sonnt sich. Zwei syrische Mädchen fahren Roller, lächeln und sagen artig „Hallo!“ zum Besucher. Sie klingen Deutsch, den Tonfall haben sie schon raus. Kinder kommen am schnellsten an.

In einer Wohnung treffen wir Arash Ibrahimi, 32, und Vahid Karini, 40. Beide sind aus dem Iran und seit ein paar Monaten hier. Ibrahimi spricht Englisch und erzählt, dass ihm und seinem Nachbarn mit Schleusern auf dem Landweg die Flucht nach Deutschland gelungen sei. „Ich wechselte vom Islam zum Christentum. Sie töten dich im Iran dafür“, sagt Ibrahimi. Karini zeigt ein Schreiben des UNHCR, der Flüchtlings-Agentur der Vereinten Nationen, das ihn offiziell als politisch verfolgt anerkennt. „Ich arbeitete für die Mudschaheddin, die iranische Oppositionsbewegung. Das Regime im Iran verfolgte mich und wollte mich töten.“

Ibrahimi sagt, er sei ein Anhänger des Schah von Persien. Die Flagge der Dynastie hängt in seinem Zimmer. Ob es eine gute Idee ist, ihn Tür an Tür mit einem Mudschaheddin leben zu lassen, einem erbitterten Feind der ehemaligen Herrscherfamilie, ist fraglich. Doch die beiden eint wohl das Schicksal, vom gegenwärtigen Regime gejagt zu sein. Jetzt machen sie erst mal gemeinsam Tee für den Gast. Ibrahimi holt die einzige repräsentative Tasse mit Silbereinfassung aus dem ramponierten Schrank in der alten Küche. „For our guest!“ Zu Hause betrieb er ein Bauunternehmen mit seinem Vater. In Deutschland hat er keine Ahnung, wie es weitergehen soll. „Ich habe keinen Plan, keinen Status und keine Hoffnung. Die Unterkunft ist deprimierend und ich weiß nicht, wie ich hier weg kommen soll.“ Karini nickt, als er das Gesagte auf Persisch übersetzt bekommt. Ibrahimis Handy klingelt. Er reicht es dem Reporter. Es spricht sein iranischer Bekannter: „Ich lebe an der Schnackenburgallee in Hamburg, dem schlimmsten Ort für Flüchtlinge. Meine Frau ist schwanger und in einer kritischen Phase. Ich komme hier nicht raus. Niemand interessiert sich für uns. Können Sie mir helfen?“

Zum Abschied sagt Ibrahimi: „Gott segne Sie, dass Sie wenigstens unsere Geschichte erzählen.“ Dann kommt Mehmet mit Bierdose in der Hand. „Na, hast du alles, brauchst du noch mehr Geschichten?“ Danke, es ist genug.

In den Schrebergärten gegenüber der Unterkunft pflegen Norderstedter ihre Pflanzen. Bei Hayunga um die Ecke stehen Mittelklasse-Limousinen, die Kofferräume voller Lebensmittel. Schulkinder laufen lachend mit ihren Schulranzen die Ulzburger Straße herunter. Die Gegensätze dieser Welt sind zynisch und kaum zu ertragen.