Reitchefin Sylvia Kassel trainiert 25 Karl-May-Pferde. In diesem Jahr musste sich Winnetou-Darsteller Jan Sosniok an ein neues Pferd gewöhnen. Es klappt ausgezeichnet

Jan Sosniok hat so seine Erfahrungen mit Pferden gemacht. „Das ist wie mit den Autos“, sagt er. „Wenn sie neu sind, müssen sie erst eingefahren werden. Die Fahrer müssen sich an sie gewöhnen.“ Der Berliner Schauspieler musste sich an sein neues „Modell“ erst gewöhnen: Easy, ein eher kleiner, aber sehr rassiger und energischer Spanier, hat in diesem Jahr die Pferdehauptrolle bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg übernommen.

Im vergangenen war Easy noch das Pferd von Old Shatterhand. Wayne Carpendale ritt den Wallach, der im Stück den Namen Hatatitla trug, in diesem Jahr verkörpert der Hengst den berühmten Iltschi – das Pferd also, mit dem Apachenhäuptling Winnetou durch den Wilden Westen den Abenteuern entgegen reitet. In den fünf Probenwochen und seit der Premiere vor zwei Monaten sind Jan Sosniok, der im Segeberger Freilichttheater am Kalkberg zum zweiten Mal die Rolle des Winnetou übernommen hat, und Easy schon ein richtig eingespieltes und vor allem eingerittenes Team.

Der schwarze Spanier gehört seit drei Jahren zum Pferdeteam der Karl-May-Spiele. Damit ist er noch kein erfahrenes Theaterpferd, aber Pferdetrainerin Sylvia Kassel, 46, hat ihn gut auf seine Aufgabe vorbereitet – vor allem stellt sie ihm in dieser Saison noch ein erfahreneres Pferd an die Seite. Mit Cubano kommt ein weiteres Winnetou-Pferd zum Einsatz. Der Wallach ist 18 Jahre alt und wird seit sieben Jahren als Iltschi geritten – zunächst von Erol Sander, im vergangenen Jahr erstmals von Jan Sosniok. Beide Pferde haben sich in den vergangenen Wochen abgewechselt. „Winnetous neues Pferd hat seine Sache sehr gut gemacht“, sagt Reitstallchefin Sylvia Kassel, die seit 1996 die Aufgabe hat, die wahren Hauptdarsteller der Karl-May-Spiele zu trainieren, zu betreuen und für die Aufgabe in der Arena fit zu machen. Die Tiere sind genügsam, geben sich mit einem kräftigen Fressen zufrieden und freuen sich über die unzähligen Möhrenbündel, die sie oft am Ende der Vorstellungen von den Zuschauern bekommen. Die werden später im Reitstall aufgeteilt und vertilgt. Tatsächlich ist es so, dass über die Stars der jeweiligen Karl-May-Inszenierungen immer geschrieben und berichtet wird, über die wirklichen Helden jedoch nie. Deshalb werden Easy, Cubano und Co. zusammen mit ihrer Trainerin an dieser Stelle gewürdigt. Kurz vor Ende der Karl-May-Saison 2014, die wieder sehr erfolgreich war. Unter dem Strich werden am kommenden Sonntag, nach der letzten Vorstellung, wieder mehr als 300.000 Besucher im Segeberger Freilichttheater am Kalkberg gewesen sein – und damit hat die Kalkberg GmbH wieder einen satten Gewinn eingefahren. Das erfolgreichste Privattheater Deutschlands hat offenbar wieder alles richtig gemacht.

25 Pferde beleben das Theaterstück „Unter Geiern – der Geist des Llano Estacado“. Während der Aufführung werden sie von den jeweiligen Reitern dirigiert, aber hinter den Kulissen hören sie vor allem auf das Kommando einer Frau, die ihr einstiges Hobby schon seit fast 20 Jahren zum Beruf und zum Lebensinhalt gemacht hat. Wayne Carpendale, Jan Sosniok oder Christian Kohlund sind für die Karl-May-Inszenierung wichtig, Sylvia Kassel ist wichtiger: Sie sorgt dafür, dass die Stars angemessen durch die Arena reiten können – ohne Angst zu haben, dass die Tiere plötzlich scheuen.

Das Reiten auf der Koppel ist die eine Sache, das Reiten vor Tausenden von Zuschauern mit krachenden Gewehrschüssen, Explosionen und lärmenden Indianern die andere. Sylvia Kasse macht die Pferde fit – und das nicht nur während der Karl-May-Saison, sondern das ganze Jahr über. Vier Wochen vor Spielbeginn werden die Pferde in den Stall gebracht, der hinter den Zuschauerrängen liegt. Direkt nach der letzten Vorstellung geht es wieder auf den Hof Behnke in Groß Rönnau, wo sie bis zur nächsten Karl-May-Saison leben. Hier hat auch die ausgebildete Reittrainerin und Reitwartin Sylvia Kassel ihre Wohnung. Sie arbeitet bis zum nächsten Sommer mit den Pferden und empfängt oft schon im Januar engagierte Schauspieler, die sich mit ihren Pferden vertraut machen wollen. „Jan Sosniok war in diesem Jahr mal ein ganzes Wochenende zum Reiten bei uns“, sagt Sylvia Kassel, für die es wichtig ist, dass Reiter und Pferde während der Karl-May-Saison zu Freunden werden, die sich aufeinander verlassen können. Die Trainerin hat im Laufe der Jahre festgestellt, dass die Theaterpferde richtige Rampensäue sind: Wie jeder Schauspieler freuen sie sich über den Applaus. „Bei der Applausordnung am Ende erkennen sie die Musik und wissen genau, wann sie in die Arena müssen.“

Wenn die eigentlichen Proben beginnen, werden die Pferde an die besonderen Karl-May-Geräusche gewöhnt, die sie dann irgendwann nicht mehr erschrecken. Die Premiere ist dann aber völlig anders: „Wenn plötzlich 7000 Menschen vor ihnen sitzen, ist das für die Pferde schon eine ganz besondere Erfahrung“, sagt Sylvia Kassel. „Sie nehmen die Stimmungen im Publikum auf, deshalb stellen wir die jüngeren Pferde auch immer zwischen die alten und erfahrenen.“ An den spielfreien Tagen können sie sich Tiere austoben: Sie stehen auf einer Weide in der Nähe.

Unter dem Strich gab es in dieser Saison keine besonderen Probleme. Kurz vor der Premiere musste ein Kutschpferd ausgetauscht werden, weil es plötzlich lahmte, aber alle anderen Pferde sind gut durch den Sommer gekommen, wobei ihnen auch die Hitzeperiode wenig ausmachte.