Entsetzen nach der Bluttat: Mitarbeiter der Finanzämter treffen sich zu einer Schweigeminute

Kreis Segeberg/Rendsburg. Bei einer Schweigeminute haben die Mitarbeiter der Finanzämter in Norderstedt, Bad Segeberg und anderen Orten ihres erschossenen Kollegen aus Rendsburg gedacht. „Die Stimmung ist furchtbar, das Entsetzen ist groß“, sagt Eugen Witte, Sprecher des Finanzministeriums in Kiel. Am Montag hatte ein Steuerberater in Rendsburg einen Finanzbeamten festgenommen, der Täter sitzt in Untersuchungshaft (das Abendblatt berichtete). Die Bluttat führt in vielen Behörden zu einer neuen Diskussion darüber, ob neue Sicherheitseinrichtungen geschaffen werden können, ohne Kundenservice und Bürgernähe einzuschränken.

„So eine Tat wie in Rendsburg kann man nicht verhindern“, sagt Michael Knapp, Geschäftsführer der Jobcenter in Norderstedt, Kaltenkirchen und Bad Segeberg. Trotzdem versuchen er und seine Kollegen, ein hohes Sicherheitsniveau zu gewährleisten. In den Jobcenter gilt bei verbaler und körperlicher Gewalt die Null-Toleranz-Strategie. In diesem Jahr haben die Mitarbeiter bereits fünf Hausverbote ausgesprochen. Auch Anzeigen werden erstattet.

Sicherheitskonzepte in den Jobcentern werden regelmäßig überarbeitet

Für die Jobenter liegen umfangreiche Sicherheitskonzepte vor, die regelmäßig überarbeitet werden – zum vorerst letzten Mal im vergangenen Jahr, nachdem in Neuss ein 52-Jähriger eine Jobcenter-Sachbearbeiterin erstochen hatte. Knapps Mitarbeiter können über ihren PC einen stillen Alarm bei Kollegen auslösen und bei Attacken über Fluchttüren in Nachbarbüros entkommen. Alle Mitarbeiter werden regelmäßig geschult, wie sie reagieren sollen, wenn sie attackiert werden. „Körperliche Gewalt ist glücklicherweise extrem selten“, sagt Knapp. Außerdem möchte er an der Philosophie der Jobcenter festhalten: „Wir wollen ein offenes Haus blieben.“

„Auch bei uns ist die Tat von Rendsburg ein Thema“, sagt Gerold Melson, Sprecher der Arbeitsagenturen in Norderstedt, Kaltenkirchen und Bad Segeberg. „Unsere Mitarbeiter und die Geschäftsführung sind sehr betroffen.“ Die Agenturen arbeiten mit ähnlichen Konzepten wie die Jobcenter. Stehe ein Gespräch mit einem Kunden bevor, der als schwierig gilt, können auch Psychologen hinzugezogen werden. „Wir können uns aber nicht hinter Gittern verkriechen“, sagt Melson. „Das offene Gespräch ist wichtig.“

Im Amtsgericht wurden vor zwei Jahren Sicherheitsschleusen installiert

Das Amtsgericht in Norderstedt hat bereits vor zwei Jahren seine Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Nach dem Mord an einem Staatsanwalt in Dachau wurden – wie in anderen Justizgebäuden des Landes auch – Sicherheitsschleusen und Metalldetektoren am Eingang installiert. Wer das Gebäude betreten will, muss die Schleuse passieren. Die Metalldetektoren, die beispielsweise Waffen erkennen können, werden bei Bedarf und nach dem Zufallsprinzip aktiviert. „Ob sie in Betrieb ist, ist für den Besucher nicht erkennbar“, heißt es im Amtsgericht.

Gedanken über ihre Sicherheit machen sich auch die Mitarbeiter in der Norderstedter Stadtverwaltung. „Das war am Dienstagmorgen das zentrale Thema in unserer Dezernenten-Runde“, sagt Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote. Es gebe die neuralgischen Bereiche in der Stadtverwaltung, in denen es immer wieder zu kritischen Situationen kommen kann. Etwa in der Abteilung Vollstreckung, bei den Politessen, im Sozialamt, beim Ordnungsdienst oder an der Kasse. „Die Hemmschwelle bei den Menschen ist gesunken. Das reicht vom völligen Vergreifen im Tonfall gegenüber unseren Kollegen bis zum tätlichen Übergriff“, sagt Grote. Zwei Fälle von Handgreiflichkeiten hätte es in der jüngeren Vergangenheit gegeben. „Sie gingen glimpflich aus. Wir mussten Hausverbote gegen die Bürger aussprechen“, sagt Grote.

Die Verwaltung beschäftige eine Fachkraft für Arbeitssicherheit, die sich derzeit mit der Überprüfung der Sicherheitsmaßnahmen beschäftige. „Unsere Büros sind mit stillen und optischen Meldern ausgestattet, die Kollegen drücken einen Taster und können so Kollegen zur Hilfe holen“, sagt Grote. Das Problem bei der Bauweise der Rathausgänge in Norderstedt: Die Amtsstuben haben den Zugang nur vom Gang aus, jedoch gibt es von Büro zu Büro keine Zwischentüren. Grote: „In anderen Häusern werden diese gerne offen gelassen.“ Im Notfall können Kollegen dann schneller eingreifen.

Finanzministerin Heinold traf sich mit Abteilungsleitern zu ersten Beratungen

Grote will über den Städteverbund, dessen Vorsitzender in Schleswig-Holstein er ist, eine Diskussion über die Sicherheit anregen. „Wir wollen vergleichen, was andere Kommunen tun und wo man sich vielleicht verbessern kann.“ Klar sei für ihn bei allen Forderungen nach zusätzlichen Maßnahmen aber auch: „Das Rathaus ist ein offenes Haus. Wir wollen keine Personenschleusen wie im Amtsgericht einführen.“ Auch der Einsatz eines Sicherheitsdienstes sei für das Aufkommen an Besuchern im Haus nicht gerechtfertigt.

In den Finanzämtern werden nach dem Mord von Rendsburg die Sicherheitskonzepte auf den Prüfstand gestellt. Bereits am Dienstag trafen sich nach einer Anordnung von Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) hochrangige Abteilungsleiter zu ersten Beratungen. Demnächst steht eine Konferenz sämtlicher Vorsteher der Finanzämter auf der Tagesordnung. Dort sollen auch Vorschläge von Mitarbeitern der Finanzämtern besprochen werden, die zuvor nach ihrer Meinung über die Sicherheitsvorkehrungen befragt wurden. „Wir werden eine ergebnisoffene Diskussion führen“, sagt Ministeriumssprecher Witte.

Für den Innenminister gehört jetzt die Sicherheit auf den Prüfstand

Nach Ansicht von Schleswig-Holsteins Innenminister Andreas Breitner (SPD) gehört jetzt die Sicherheit in Behörden auf den Prüfstand. „Alles andere wäre geradezu verantwortungslos. Welche Schlüsse wir daraus ziehen, dafür ist es mir zu früh.“ Es sei ein Spagat, offene, barrierefreie Behörden für die Menschen anzustreben und zugleich mit Schutzmaßnahmen oder Besucherkontrollen für mehr Sicherheit der Mitarbeiter zu sorgen.

Es gehe um die Behörden, die stark eingreifen ins Lebensumfeld von Menschen, sagte Breitner und nannte Jobcenter, Gerichte, Finanzämter und Kommunalverwaltungen. „Unsere Gerichte sind schon recht gut gesichert, aus guten Gründen.“ Jetzt werde man sich auch der Finanzämter annehmen. „Wenn wir zusätzliche Barrieren aufbauen und Hürden erhöhen, dann geht das natürlich zu Lasten der Bürgernähe – bisher wollen wir das in Schleswig-Holstein nicht.“

Er habe mit Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) bereits über die Sicherheit in Finanzämtern gesprochen, „da unterstützen wir sie gern bei allen Überlegungen“. „Aber eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Es gibt keine Vollkaskoversicherung gegen solche Risiken. Ein Täter mit dem festen Willen des Tötens könne auch vor der Tür einer Behörde warten, bis jemand rauskommt. „Wir können nur die Gelegenheiten reduzieren, ganz ausschließen können wir es nicht.“