Tiermedizinerin schlug vor 20 Jahren Alarm wegen BSE-Verdachts im Bramstedter Schlachthof – und wurde entlassen

Kreis Segeberg. Nach mehr als 20 Jahren wollen die Politiker des Kreistages den Fall Dr. Margrit Herbst erneut aufrollen. Gleich zwei Sondersitzungen des Hauptausschusses werden anberaumt, um zu klären, ob die bundesweit als Whistleblowerin geachtete Tierärztin aus der Kreisverwaltung gemobbt wurde und rehabilitiert werden muss. Die heute 74-Jährige hatte ab 1990 im Schlachthof von Bad Bramstedt diverse Verdachtsfälle der tödlichen Rinderkrankheit BSE festgestellt und wollte die Öffentlichkeit warnen. Dann wurde sie entlassen.

Noch heute glaubt die Tiermedizinerin, dass sie damals gegen ein Kartell des Verschweigens kämpfte, das Deutschland so lange wie möglich als BSE-freie Zone erhalten wollte – zumindest in den Medien und in den Akten. Margrit Herbst begann Anfang der 90er-Jahre, Vorträge über die Nachforschungen zu halten. Tagsüber stand sie an der Pforte zum Schlachthof und stritt mit ihren Vorgesetzten, die ihre Warnungen ignorierten.

Der Streit eskalierte: Die Kreisverwaltung ordnete an, dass Margrit Herbst trotz angeschlagener Gesundheit plötzlich andere, auch schwere körperliche Kontrollaufgaben im Schlachthof übernehmen musste. Zum Schluss war sie fast ein gesamtes Jahr krank. Margrit Herbst erzählte ihre Geschichte bei Günther Jauch. Am 15. Dezember 1994 erhielt Margrit Herbst die fristlose Kündigung von Landrat Gorrissen.

In zwei Sondersitzungen werden sich die Kreispolitiker mit dem Fall befassen

Auch die Kieler Staatsanwaltschaft beschäftigt sich mit dem Fall Herbst. Der Anklagebehörde liegen Akten vor, die das Umweltministerium zur Verfügung gestellt hat. Die Dokumente waren den Staatsanwälten übermittelt worden, nachdem 300 Ermittler im Februar dieses Jahres den Bramstedter Schlachthof durchsucht hatten. Dieser gehört inzwischen nicht mehr, wie in den 90er-Jahren, der Norddeutschen Fleischzentrale, sondern wird von Vion betrieben. Die Fahnder fanden im Februar diverse Hinweise auf Hygienemängel und Tierquälereien. Auch das Kreisveterinäramt mit seinem Chef Kurt Warlies geriet heftig in die Kritik, die Missstände missachtet zu haben.

Noch sind die aktuellen Ermittlungen gegen den Schlachthof und die Auswertung der alten Herbst-Unterlagen nicht abgeschlossen. Strafrechtlich dürften die alten Herbst-Akten nicht mehr relevant sein, da alle infrage kommenden Vorwürfe verjährt sind. Vielmehr geht es den Ermittlern um eine Überprüfung, ob Entscheidungen innerhalb des Segeberger Veterinäramtes damals wie heute nach gleichen Mustern ablaufen. Kurt Warlies war in jener Zeit als verbeamteter Tierarzt bereits für das Kreisveterinäramt tätig.

„Kurt Warlies hat damals wie viele andere auch, meine Warnungen ignoriert“, sagt Margrit Herbst. „Er stufte meine BSE-Verdachtsfälle zu Vor-Verdachtsfällen herab.“ Das sei aus ihrer Sicht ein pflichtwidriges Verhalten. „Er stand nicht unbedingt auf Seiten der Verbraucher“, so Herbst. Mit Blick auf die Zustände im Vion-Schlachthof vor der Razzia der Staatsanwaltschaft sagt sie: „Es scheint grundsätzlich so zu sein, dass Meldungen von Missständen dort unterdrückt werden.“

Die erste Sondersitzung des Hauptausschusses am 17. September werde nicht öffentlich sein, sagt Heinz-Michael Kittler von der Fraktion Die Linke, die den Fall erneut diskutieren will. Dieses Treffen solle der Information der Ausschussmitglieder dienen. Kittler: „Hier sollen alle damals Beteiligte, soweit noch erreichbar, ihren 20 Jahre alten Erinnerungen freien Lauf lassen dürfen, ohne bei Erinnerungslücken gleich gemaßregelt zu werden.“

Auch der damalige Landrat Georg Gorrissen, der Herbst entlassen hatte, wurde eingeladen, hat aber bereits wegen eines anderen Termins abgesagt. In seiner Absage verwies Gorrissen laut Kittler auf seine damalige Dezernentin, die an der Sitzung teilnehmen wird. Bis zur Sitzung soll auch ein Bericht der Kreisverwaltung zum Fall Herbst vorgelegt werden, den die Linke-Fraktion bereits vor einem halben Jahr angefordert hat.

Die zweite Sondersitzung soll öffentlich stattfinden. „Hier soll der Fall dann politisch beraten und bewertet werden“, kündigt Kittler an. „Und zwar aus heutiger Sicht unter der Berücksichtigung von Lebensmittelsicherheit und Gesundheit für Millionen von Verbrauchern.“ Ihr Ziel hat die Linke-Fraktion klar formuliert: „Die Kreisverwaltung wird aufgefordert, Frau Dr. Herbst zu rehabilitieren und sich mit ihr einvernehmlich bis spätestens 21.12.2014 über eine Entschädigung zu verständigen, die ihre Beschäftigungslosigkeit von Kündigung bis Pensionseintrittsalter ausgleicht.“

Den erneuten Versuch, ihren Fall aufzurollen und sie zu rehabilitieren, begrüßt Margrit Herbst. „Es ist allein deshalb wichtig, damit andere Kollegen endlich den Mut haben, den Weg weiter zu gehen, den ich gegangen bin – ohne systematisches Mobbing oder Existenzängste erfahren zu müssen.“ Dem Kreis werde es sicherlich sehr schwer fallen, sie zu rehabilitieren, sagt sie. „Aber die Fakten sprechen für sich.“