Für die Entwicklung wirklich visionärer Ideen braucht man Zeit und Ruhe. Die findet der zivilisationsgejagte Mensch von heute eigentlich nur noch im Stau. Vor dem Elbtunnel, beispielsweise. In jener Asphaltschlucht, die eine tiefe Schneise durch den Hamburger Stadtteil Bahrenfeld zieht. Aus den Abgründen dieses Grabens steigen die frei schwebenden Gedanken müßig im Stau stehender Autofahrer auf, vermischen sich mit den Abgasen ihrer Karossen und fliegen vereint gen Himmel. Das ist schön.

Aber leider meist das Einzige, was sich hier bewegt. Und damit soll auch bald Schluss sein, denn es soll ein Deckel drauf. Frei schwebende Gedanken, das geht ja wohl gar nicht, wo kommen wir da hin – erst Heinrich Heine, dann Revolution, nein danke. Also: Deckel über die Autobahn. Dann sieht man das Elend nicht mehr, und oben kann man ein paar nette Blumen pflanzen, das ist schön.

Für die Entwicklung visionärer Ideen braucht man Zeit und Ruhe

Wer unten reinfährt, hat selber schuld und soll sehen, wie er da wieder rauskommt. Ein Deckel, tolle Idee. Leider ziemlich teuer. Um die Teilung der Baukosten streiten sich deshalb Stadt und Bund, und weil das alles nicht so einfach ist, streiten sich auch noch die politischen Parteien untereinander.

Vielleicht sollten alle Beteiligten einmal innehalten. Für die Entwicklung visionärer Ideen braucht man schließlich Zeit und Ruhe. Sehr geehrte Entscheider, nehmt euch Besinnungszeit im Stau. Muss man nicht großartig planen. Vor dem Elbtunnel ist das an gefühlt 300 Tagen im Jahr möglich. Richtet die Blicke gen Himmel, lasst die Gedanken steigen und stellt euch vor, sie prallen nach wenigen Metern an eine massive Betondecke. Gar nicht schön. Der offene Asphaltgraben quer durch Bahrenfeld ist, zugegebenermaßen, auch nicht schön.

Die Autobahn braucht keiner, da steht man doch nur rum

Wie wäre es damit: Graben zumüllen (geht quasi von alleine und kostet nichts), bisschen Muttererde drauf (für die Blumen – und warum gibt es eigentlich keine Vatererde, muss man immer erst mit seinem Gleichstellungsbeauftragten reden?) – fertig. Die Autobahn braucht keiner, da steht man doch nur rum. Dem Bund kann der Hamburger Senat ja weismachen, da wäre ein Deckel und die Autobahn noch da. Merken die in der Hauptstadt Berlin garantiert nicht und überweisen ihren Anteil. Damit bauen wir dann die Elbphilharmonie fertig.

Ist mir alles im Stau eingefallen. Ohne Deckel.

Da unser Kolumnist Jan Schröter urlaubsbedingt im Ausland weilt, erscheint „Schröters Wochenschau“ erst wieder am Sonnabend, 13. September.