Jedes Jahr im Herbst führt die Plattdütsche Bühn’ Tangstedt ein niederdeutsches Theaterstück auf – in diesem Jahr vom 10. Oktober bis 2. November. Der Titel: „Un nüms will de Vadder sien“. Wer sind die Darsteller? Wer führt Regie? Wer baut die Kulissen? In lockerer Folge beschreibt das Abendblatt die einzelnen Schritte bis zur Aufführung – heute: Wer näht die Kostüme?

Heute ist ihr großer Tag. Heute darf Meike Wulff, 27, zum ersten Mal das weiße Brautkleid anziehen, mit dem sie am 10.Oktober im Restaurant Alter Heidkrug in Kayhude Staat machen soll. Nicht als wirkliche Braut, die an diesem Tag ihren Liebsten ehelicht, sondern als Hauptdarstellerin in dem niederdeutschen Theaterstück „Un nüms will de Vadder sien“.

Angelika Sellhorn, die Kostümschneiderin, sieht es bei der Anprobe auf den ersten Blick. Irgendwie passt das Kleid nicht. Ein paar Nähte müssen noch verändert, die Länge abgesteckt werden, und der Reißverschluss hakt auch. Das Kissen, das vor den Auftritten unters Kleid gestopft wird, haben sie auch noch nicht ausgesucht. Schließlich ist Meike alias Heidi an ihrem Hochzeitstag schon schwanger. So steht es jedenfalls im Rollenbuch.

Das Brautkleid, ein Schmuckstück aus den 70er-Jahren, hat Angelika Sellhorn seit 13 Jahren im Fundus des Vereins aufbewahrt. Es war ein Geschenk von Rosemarie Möller, einer Boutique-Besitzerin aus Schenefeld. Als die Theaterfreundin, 80 Jahre alt, ihren Laden schloss, schenkte sie das Kleid ihren Freunden von der Plattdütschen Bühn’ in Tangstedt. 695 Mark sollte es ursprünglich mal kosten, längst war es zum Ladenhüter geworden.

„Irgendwann können wir das Brautkleid sicherlich noch verwenden“, sagte Angelika damals zu ihrem Mann Georg, seit 1992 Vorsitzender und Regisseur der Theatergruppe. Jetzt ist der Tag gekommen. „Die Sache hat aber einen Haken“, sagt er. „Die meisten Kleider in der Boutique von Frau Möller hatten die Größe 36. Diese Größe tragen heute nur noch wenige Frauen. Zum Glück haben wir aber eine Schneiderin, die zaubern kann.“

„Vor 20 Jahren habe ich mir so manche Anregung vom Hamburger Ohnsorg Theater geholt, heute gehe ich ins Internet“, sagt Angelika Sellhorn. „08/15 kann jeder, ein bisschen Schick müssen die Kleider schon haben.“ 1994, als sie „Meister Anecker“ aufführten, hatte ihr Mann die Stoffe gekauft, Angelika nähte die Kleider. „Wir mussten tüchtig improvisieren, aus Bettlaken habe ich Schürzen genäht.“ Einmal hat sie eine alte Hundeleine zerschnitten und als besondere Einfassung eines Reißverschlusses verwendet. „So etwas nennt man künstlerische Freiheit“, sagt sie. Bei Eva Hoss in Rellingen hat sie vor 40 Jahren das Schneiderhandwerk gelernt und später dort Kleider für die Pinneberger Prominenz genäht.

Seit 1994 tut sie das für die Theaterdarsteller: Seitennähte schließen, Abnäher nähen, Kragen, Bunde, Ärmel einsetzen, Kanten versäubern, Futter einnähen, Säume nähen, Verschlüsse einarbeiten. Sie verbessert die Passform von Kleidungsstücken, z.B. durch Änderungen der Längen und Weiten, sie erneuert zerschlissene Innenfutter und näht eingerissene Taschen zusammen – damit die Darsteller, wenn sie auf die Bühne kommen, wie aus dem Ei gepellt aussehen.

Ihr Meisterstück hat Angelika im Jahr 2007 beim Jubiläumsstück „De lüttje Wippsteert“ aus Anlass des 30-jährigen Bestehens der Plattdütschen Bühn’ vollbracht. Die originalgetreuen Kostüme hatte sie nach Schnittmustern aus England gefertigt. Kleider- und Bühnenbild in diesem heiteren Schwank aus dem 20. Jahrhundert passten perfekt in die damalige Zeit. Monatelang hat sie bis in den späten Abend an der Nähmaschine gesessen, bis alles fertig war – die Kleider von Frau Konsistorialrat Kruse, von Liese, der Frau des Stadtrates Otto Gmeiner, von Thilde, der Tochter des Schulmeisters Stint. Andrea, die Schwester der Braut, trägt eine Bluse, die Angelika Sellhorn selber genäht hat, als sie 17 Jahre alt war. „Sie ist noch einen Tick zu eng“, sagt sie. Aber dazu die alten Jeans mit weitem Schlag passen tatsächlich noch.

Fred, der misstrauische Polizeibeamte in dem Stück, hätte um ein Haar eine originale Uniform getragen. Ein pensionierter Beamter wollte sie nebst Schulterstücken spenden. Das klappt aber nicht, denn dieser Typ Uniform wird heute noch in Süddeutschland verwendet. „Ich werde aber noch etwas finden“, sagt die Schneiderin, die auch den Anzug von Brautvater Anton ändern muss.

Nur der 40 Jahre alte Smoking, den Opa Stricker auf der Bühne tragen wird, passt immer noch perfekt. „Das ist eine Sensation“, freut sich Angelika Sellhorn. Den Großvater spielt ihr Ehemann.

Meike Wulff hat sich in das Hochzeitskleid verliebt. „Sollte mir irgendwann der Richtige über den Weg laufen, dann werde ich vielleicht in diesem Kleid vor den Traualtar treten.“

Der Inhalt: Hochzeit im Hause Stricker. Tochter Heidi, bereits schwanger, heiratet ihren Frank. Die Braut ist schon im Hochzeitskleid, man wartet auf den Bräutigam und seine Eltern. Da entdeckt Opa vor der Haustür ein ausgesetztes Baby in einer Tragetasche. Tochter Lore stellt mit Entsetzen fest, dass das Baby ihrem Mann Anton ähnlich sieht. Es wird noch schlimmer, als die Schwiegereltern Elisa und Heinz Wollner kommen. Elisa glaubt, nur ihr Mann könne der Vater sein. Nun soll ein Polizist die Situation klären. Klappt das? Gibt es noch mehr Väter? Wer ist die Mutter? (Eintritt: 8 Euro, Karten gibt’s im Vorverkauf unter Telefon 04109/9295)In der nächsten Folge geht es um die Souffleuse und um die Generalprobe