Norderstedt diskutiert die Änderung der Friedhofsatzung, um Billig-Steine aus Kinderarbeit zu ächten

Norderstedt. Für die Produkt-Details einer Beerdigung interessieren sich die wenigsten Kunden. „Es muss nur alles möglichst billig sein. Gefragt wird nur noch: was kostet’s?“, sagt Wulf Helmert, Vorsitzender der Steinmetz- und Steinbildhauerinnung Schleswig-Holstein. Doch wie bei vielen Produkten ist billig meistens unethisch. Kinderarbeit und ausbeuterische Arbeitsbedingungen lassen sich nicht nur bei der Herstellung von Lebensmitteln oder Kleidung, sondern auch bei Grabsteinen nachweisen. Deswegen sollte der Verbraucher auch im Trauerfall – so schwer das fallen mag – die Billig-Mentalität infrage stellen und zumindest die Herkunft der verwendeten Produkte klären.

Norderstedt hat sich der Förderung des Fairen Handels auf kommunaler Ebene verpflichtet und bekam dafür im Frühjahr als eine von 15 Städten im Land das Fairtrade-Town-Siegel. Spätestens daraus ergibt sich die Verpflichtung, die Diskussion um Billig-Grabsteine aus Steinbrüchen in Indien, Brasilien oder China zu führen, die Städte und Kommunen in ganz Deutschland seit Monaten beschäftigt. Nach Schätzungen des Naturstein-Verbandes Deutschland stammen zwischen 50 und 80 Prozent aller verwendeten Grabsteine auf deutschen Friedhöfen aus diesen Ländern. Kinderarbeitsexperten von Misereor und anderen Organisationen schätzen, dass allein in Indien bis zu 100.000 Kinder in Steinbrüchen und Ziegeleien arbeiten, in denen die Natursteine für die Produktion von Grabsteinen zu ausbeuterischen Konditionen abgebaut werden.

Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bremen und das Saarland haben mit Gesetzesnovellen den Kommunen einen Ausschluss von Grabsteinen aus Kinderarbeit in ihren Friedhofssatzungen ermöglicht. Wie der Grüne Landtagsabgeordnete Burkhard Peters in Kiel bestätigt, ist das Thema auch in Schleswig-Holstein auf der Agenda: „Wir planen dazu eine Initiative, die die Verwendung von fair gehandelten Grabsteinen im Bestattungsgesetz des Landes vorschreibt.“

Die Fairtrade-Town Norderstedt ist zurückhaltend beim Thema fairer Grabstein: „Die Stadtverwaltung plant zum jetzigen Zeitpunkt nicht, ihre Friedhofssatzung derart zu ändern oder zu ergänzen, dass ein Nachweis für fair gehandelte Grabsteine gefordert wird“, sagt der Sprecher Bernd-Olaf Struppek. Grund für die Zurückhaltung sei ein Ratschlag des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Dieser verweist auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Mannheim zur Friedhofssatzung der Stadt Kehl. Der Gerichtshof urteilte im April, dass es rechtswidrig und unwirksam ist, die Verwendung von fair gehandelten Grabsteinen vorzuschreiben. „Als Begründung wurde vor allem angeführt, dass verlässliche Möglichkeiten für den Nachweis, dass Grabsteine ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt sind, nicht vorhanden seien. Es gebe bislang keine ausdrückliche Anerkennung von Zertifikaten durch staatliche Stellen“, sagt Struppek. Solange also kein allgemein anerkanntes Siegel für fair gehandelte Grabsteine existiert, empfiehlt der Städtebund den Verzicht auf Vorgaben in der Friedhofssatzung.

Wulf Helmert, der seinen Betrieb in Ratzeburg führt, hält es für unzumutbar, dass Kommunen per Friedhofsatzung dem Steinmetz den Nachweis für die Unbedenklichkeit der Grabsteine aufbürden. „Für mich ist hier der Bund in der Pflicht. Die Einfuhrbestimmungen für Natursteine nach Deutschland müssten geändert werden. Die Importeure sollten verlässlich nachweisen, dass die Steine den deutschen Auflagen beim Arbeitsschutz entsprechen“, sagt Helmert. Derzeit würde auf dem Markt eben verkauft, was der Kunde nachfragt. Für einen Billig-Grabstein aus Indien sind inklusive Bearbeitung zwischen 1500 und 2500 Euro fällig. Ein von einem deutschen Steinmetz mit regionalen Natursteinen gefertigter, individualisierter Grabstein beginnt beim Preis erst bei 3500 Euro aufwärts, sagt Helmert. „Die heimischen Steinmetze können alles mit unbedenklichen Materialien selbst herstellen – aber das hat seinen Preis.“

Der Verein Xertifix, an dessen Spitze die ehemalige DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock und der Misereor-Kinderarbeitsexperte Benjamin Pütter stehen, vergibt ein Xertifix-Siegel für Grabsteine. Doch derzeit umfasst die Liste der ausgezeichneten Naturstein-Händler nur 13 Betriebe in Deutschland. Schirmherr des Vereins ist der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, der sich vehement für die Sache einsetzt.

Ina Streichert vom Amt Nachhaltiges Norderstedt empfiehlt Konsumenten in der Stadt, mit den Anbietern von Grabsteinen aus Naturstein möglichst zu klären, aus welchem Land und aus welchem Steinbruch die Steine stammen, ob dort die internationalen Kernarbeitsnormen und Arbeitsschutzmaßnahmen eingehalten und gerechte Löhne bezahlt werden. Diese Kriterien gelten auch für Weiterverarbeitungsbetriebe.

Ina Streichert: „Als Alternative zu Grabsteinen aus sogenannten Dritte-Welt-Ländern empfehlen wir Natursteine aus Deutschland beziehungsweise europäischen Ländern. Dies auch wegen der Umweltaspekte: Klimaschutz (kurze Transportwege), Naturschutz, Ressourcenschonung und anderen Umweltthemen.“