Im Jahr 2000 und 2001 fotografierte die Künstlerin Gagel Anlieger von Norderstedts Straßen. So sehen die Porträtierten die Kunst-Aktion heute

Norderstedt. Sie stehen an der Schillerstraße, an der Mittelstraße, am Langenharmer Weg, am Eschenkamp und auch an der Rathausallee in Norderstedt-Mitte. Sie sind über die ganze Stadt verteilt, 18 Straßenbilder-Schilder mit je zehn bis zwölf Foto-Porträts der Bewohner der Straße, an der sie stehen. Im zweiten Halbjahr des Jahres 2000 setzte die Künstlerin Gagel ihr Kunst-Projekt in Norderstedt um, als Kunst im öffentlichen Raum, finanziert aus dem Topf für Kunst am Bau.

Die Straßenbilder-Schilder stehen noch, doch was ist aus den Menschen geworden, die sich für dieses Kunstprojekt von der Pinneberger Künstlerin Gagel fotografieren ließen?

An der Rathausallee, direkt vor dem Rathaus, grüßen auch zwei, die diese Aktion vor fast 14 Jahren maßgeblich mit verantworteten. Harald Freter, der damalige Erste Stadtrat und Kulturdezernent, und Gabriele Richter, Leiterin des städtischen Kulturbüros, das damals Forum hieß. Jetzt stellten sie sich mit einigen Rathaus-Kollegen, die ebenfalls von den Straßenschilder-Bildern von 2000 grüßen, wieder der Kamera. Und ihren Gesichtern von damals.

„Irgendwie sind wir alle älter geworden“, sagt Harald Freter und schmunzelt sein Konterfei von damals leicht skeptisch an. Der Bart ist ab, ansonsten hat sich der Mann nicht viel verändert. Freter, jetzt Geschäftsführer des Bundesverbandes der Berufsbetreuerinnen und -betreuer in Hamburg, erinnert noch einmal an Sinn und Ziel der Kunst-Kampagne: „Für das Projekt Kunst im öffentlichen Raum wurden finanzielle Mittel vom Bau für die Kunst in ungefähr fünfprozentiger Höhe vom Gesamt-Volumen abgezweigt.“

Es sei Sinn der Aktion Straßenbilder-Schilder gewesen, nach Jahren zu schauen, wie sich die Bewohner einer Straße verändern, wie sich dieser Mikro-Kosmos entwickeln würde. „Gagels Momentaufnahmen von den Gesichtern wurden zur Dokumentation, wie die Zeit Menschen und Straßen verwandelt“, sagt Freter.

„Hinter Gagels Idee steckte auch die Überlegung, dass die Straßenbilder-Schilder Norderstedts Stadtteile miteinander verbinden“, sagt Gabriele Richter. Auch sie hat sich in den 14 Jahren von Foto damals zu Foto heute kaum verändert.

„Das Projekt von Gagel macht die Straße zum offenen Kunstmuseum, und die Bürgerinnen und Bürger, die mitgemacht haben, zeigten, dass sie sich mit ihrer Straße und ihrem Stadtteil identifizieren“, sagt Christiane Eckert, die heute in der Norderstedter Gleichstellungsstelle arbeitet. Sie guckt auch heute noch gern auf die Schilder.

„Ich gehe fast täglich zur Arbeit im Rathaus an diesen Schildern vorbei und freue mich über die Gesichter von damals“, sagt Kai Petersen. Der Betriebsamts-Mitarbeiter erinnert auch an eine Kollegin, die verstorben ist, oder an andere, die ihren Arbeitsplatz gewechselt haben. „Ich hatte damals Lust, ein Teil dieser Kunst zu sein, und finde es heute immer noch gut“, sagt Petersen. Unter den mehr als 200 Norderstedtern, die an Gagels Kunstprojekt teilnahmen, sind auch Stadt-Promis wie Theaterchef und Autor Norbert Tank.

Für das Kunstprojekt hat die Stadt einen öffentlichen Wettbewerb ausgerufen, und Gagel hat mit ihrer Straßenbilder-Schilder-Idee die Jury überzeugt. Gleichwohl stellte sie sich damals die Umsetzung etwas leichter vor. Doch viele Bürger schlugen sich bei ihrer Frage, ob sie sich für das Schild fotografieren lassen würden, nur mit der Hand an die Stirn und anschließend die Haustür zu.

Gagel gab das Klinkenputzen auf und beschränkte sich auf Handzettel, die sie in die Briefkästen steckte. Es war mühselig.

„Zugeschlagene Türen oder ein herzliches Willkommen, das waren die Reaktionen, und so schwebte ich immer zwischen Aufgeben und Euphorie, aber wir haben es geschafft“, sagt Gagel. Schon das Wort Kunst hätten einige Menschen fröhlich, andere aber zornig gemacht. „Ich musste böse Kommentare einstecken, aber im Gedächtnis bleiben die Menschen, die begeistert mitgemacht haben“, sagt die Künstlerin. Das seien die Menschen, die gern zeigen wollten, dass sie sich mit ihrer Straße und ihrer Stadt identifizieren, dass sie auf dem Schild gern jeden Morgen ihr Foto sehen und auch, wie sie sich über die Jahre verändern. Sogar ganze Familien fanden sich damals zum Foto-Shooting ein wie die Familie Sick aus dem Alsterstieg im Ortsteil Glashütte.