Das fordert die Bundesvorsitzende der GEW. Pädagogen in Bayern sollen genauso besoldet werden wie die im Norden, Grundschul- wie Gymnasiallehrer

Norderstedt. Gleiches Geld für gleichwertige Arbeit – nach diesem Motto will die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bundesweit eine gleich hohe Besoldung für Lehrer durchsetzen – und zwar eine Besoldung nach A13, das entspricht in Schleswig-Holstein einem Einstiegsgrundgehalt von 3571,03 Euro. Damit will die Gewerkschaft den Konkurrenzkampf der Länder um junge Pädagogen beenden. „Zum Berufsstart sehen sie sich sehr genau an, wo sie am meisten verdienen können“, sagte die Bundesvorsitzende der GEW, Marlis Tepe, 60, in einem Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt.

Hamburger Abendblatt:

Gibt es dafür Beispiele?

Marlis Tepe:

Der Wettbewerb um den pädagogischen Nachwuchs wurde gerade in Norderstedt und dem übrigen Hamburger Umland deutlich. Junge Pädagogen gehen lieber gleich nach Hamburg, weil sie dort verbeamtet werden und unterm Strich mehr Geld haben. Die Unterschiede können durchaus mehrere Hundert Euro brutto im Monat ausmachen. Polen hat die einheitliche Besoldung gerade eingeführt und auch gleich noch Sozialpädagogen und Erzieherinnen einbezogen, die in der immens wichtigen frühkindlichen Bildung große Verantwortung tragen.

Eine einheitliche Besoldung vernachlässigt aber unterschiedlich hohe Lebenshaltungskosten. Warum sind sie trotzdem dafür?

Marlis Tepe:

Schon in den einzelnen Flächenbundesländern sind die Lebenshaltungskosten sehr unterschiedlich. Städte wie Berlin und München haben die Möglichkeit, durch Zulagen Ausgleich zu schaffen. In erster Linie wollen wir, dass gleichwertige Arbeit gleich bezahlt wird. Außerdem würden die Grund- und Hauptschullehrer besser gestellt, ohne dass die Gymnasialkollegen bluten müssten. Die Zweiklassengesellschaft in den Kollegien würde entfallen.

In Schleswig wurde und wird heftig über die Zukunft der Lehrerausbildung gestritten. Bildungsministerin Waltraud Wende möchte Pädagogen ausbilden, die die Schüler gleichermaßen in den Oberstufen von Gemeinschaftsschulen wie Gymnasien zum Abitur führen. Was halten Sie vom „Einheitslehrer“?

Tepe:

Der Kampfbegriff „Einheitslehrer“ ist unpassend und gefällt mir nicht, der Ansatz der Ministerin schon, weil sie von den Anforderungen her argumentiert. Wir stellen uns eine einheitliche pädagogische Grundausbildung mit dem Bachelor-Abschluss vor, in der die Kernkompetenzen vermittelt werden. Und dann sollte sich die Master-Ausbildung stärker an den Alters- und Entwicklungsstufen der Schüler orientieren. Wer Sechs- bis Zehnjährige unterrichtet, braucht andere Kompetenzen als jemand, der pubertierende Jugendliche im Unterricht hat, oder mit 18- bis 20-Jährigen arbeitet. Und der Praxisanteil sollte steigen, Theorie und Praxis müssen stärker miteinander verzahnt werden, denn noch immer stellen junge Menschen erst im Referendariat fest, wie herausfordernd der Beruf ist, viele sprechen vom Praxisschock.

Die Hälfte der Pädagogen ist 55 und älter, im kommenden Jahrzehnt wird ein Drittel in den Ruhestand gehen. Da müssen viele Stellen besetzt werden. Reicht der Nachwuchs?

Tepe:

Grundsätzlich werden zu wenige Lehrer ausgebildet, wobei das von Bundesland zu Bundesland und von Jahr zu Jahr schwankt. Insgesamt steuern wir aber auf einen Mangel an pädagogischen Fachkräften zu. Große Lücken gibt es schon jetzt im naturwissenschaftlichen Bereich. Junge Leute, die hier ihre Stärken haben, gehen lieber in die Industrie, wo sie mehr Geld verdienen können. Der Mangel an sogenannten MINT-Lehrern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) ist ein internationales Problem, mit dem andere Länder ebenfalls zu kämpfen haben. Eine Chance liegt darin, junge Frauen stärker für die Naturwissenschaften zu begeistern.

Eltern haben kein Verständnis dafür, dass ihr Kind eventuell eine Klasse wiederholen muss, wenn sie vom Norden nach Bayern umziehen. Ist das nicht auch ein Armutszeugnis für die föderale Bildung, die in einer Zeit, in der berufliche Flexibilität und Mobilität zunehmen, ausgedient hat?

Tepe:

Bildung ist der gewichtige Bereich, der in die Hoheit der Länder fällt. Und dieses Gewicht wollen sie behalten. Es gibt aber durchaus Instrumente, um sich über Bildung zu verständigen. Wichtigste Stellschraube ist, mal wieder, das Geld. Zurzeit schwanken die Bildungsausgaben von Bundesland zu Bundesland stark. Spitzenreiter ist nach den letzten Zahlen des statistischen Bundesamtes Thüringen, das 2010 7700 Euro in jeden Schüler investiert hat. Schleswig-Holstein zahlt 5200 Euro und liegt damit 600 Euro unter dem Bundesschnitt. Die Ausgaben schlagen direkt auf die Menge des Unterrichts durch.

Inwiefern?

Tepe:

Wenn Bundesländer mehr Geld in schulische Bildung investieren, dann können die Schülerinnen und Schüler beispielsweise mehr Unterricht erhalten, und es würde weniger Unterricht ausfallen. Die Klassen könnten kleiner werden. Da geht es auch darum, ob Lehrkräfte für zusätzliche Angebote im Theater-, Musik- oder Sportbereich bezahlt werden können. Oder um die Frage, ob Geld für Förderunterricht vorhanden ist. Um unabhängig vom Wohnort überall gleiche Lebenschancen zu gewährleisten, muss das Kooperationsverbot zwischen dem Bund auf der einen sowie Ländern und Kommunen auf der anderen Seite fallen. Der Bund muss Länder und Kommunen finanziell unterstützen können, jede politisch gewollte Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen muss möglich sein. Bei den Hochschulen hat die Bundesregierung jetzt einen ersten Schritt in diese Richtung gemacht, jetzt muss eine breite Förderung für die gesamte Bildung folgen. Außerdem muss es eine gemeinsame Bildungsplanung der Bundesländer geben.

Gute Bildung braucht mehr Geld, sagt nicht nur die GEW. Wo konkret muss nachgebessert werden?

Tepe:

Da ist die Liste lang: Inklusion, Inklusion, Schulsozialarbeit und Ganztag von der Kindertagesstätte bis zur Oberstufe haben für uns hohe Priorität. Zwar rühmt sich Schleswig-Holstein zu den Spitzenreitern bei der Inklusion zu zählen, rund 64 Prozent der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf lernen an den allgemeinbildenden Schulen im Norden gemeinsam mit Schülern ohne Förderbedarf. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Qualität im Unterricht noch nicht optimal ist. Es fehlt an Differenzierungsräumen, vor allem aber an Lehrkräften. 1350 fehlen in Schleswig-Holstein allein, um den Unterricht, wie von der Landesregierung gefordert, zu realisieren. Die inklusive Schule erfordert weitere Fachleute, nach Berechnungen der GEW rund 1000.

Wie steht es um die Förderung junger Migranten?

Tepe:

Die jungen Migranten holen zwar langsam auf, aber noch immer entspricht ihre Zahl beim Übergang in den Beruf oder beim Abitur nicht ihrem Bevölkerungsanteil. 35 Prozent der Fünfjährigen haben ausländische Wurzeln. Deswegen haben wir die interkulturelle Bildung zu einem besonderen Schwerpunkt erhoben.

Wie sollen die Lehrer diesen Schwerpunkt in der Praxis realisieren?

Tepe:

Es geht um mehr Wertschätzung ausländischer Kulturen und Sprachen. Die Familiensprache muss mehr Gewicht bekommen. Mehrsprachigkeit und die Familiensprachen müssen mehr Gewicht bekommen. Warum sollen die Schüler nur Englisch, Französisch und Spanisch lernen? In den Schulen sollte auch Arabisch oder Türkisch angeboten werden, gerade dort, wo der Anteil von Schülern mit entsprechendem Familienhintergrund ohnehin hoch ist. Anerkennung, Selbstbewusstsein und Motivation steigen, das Schulleben wird bunter und spannender. Das bedeutet aber auch, dass wir mehr Pädagogen mit ausländischen Wurzeln in Kitas und brauchen. Durchgängige Sprachförderung ist eine Reaktion auf die schwachen PISA-Ergebnisse, sie ist für viele Kinder von großer Bedeutung.

Das Ganztagsangebot an den Schulen wurde und wird enorm ausgebaut, die Teilnahme ist aber bisher überwiegend freiwillig. Reicht diese offene Form, um Ansprüche von Eltern und einen umfassenden Erziehungs- und Bildungsauftrag zu erfüllen?

Tepe:

Aus unserer Sicht ist der gebundene oder verpflichtende Ganztagsbetrieb – wie im Nationalen Bildungsbericht bestätigt – die bessere Lösung. So können Eltern Familie und Beruf besser in Einklang bringen. Bei diesem Thema sind wir uns übrigens mit den Arbeitgeberverbänden einig. Sie suchen gut ausgebildete Frauen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Zudem bietet ein Ganztagsunterricht bessere Fördermöglichkeiten.

Sie waren selbst Schülerin und haben mehr als 30 Jahre unterrichtet. Wie hat sich Schule verändert?

Tepe:

Heute sind die individuellen Unterschiede deutlich größer und auffälliger. Ein Beispiel: In der ersten Klasse liest ein Kind ohne Probleme „Die Kinder von Bullerbü“, und in einer zweiten Klasse müht sich ein anderes, das Wort „Tomate“ richtig zu artikulieren. Doch nicht nur der Leistungsspagat verlangt den Lehrern viel ab. Hinzu kommen psychische und soziale Probleme, vor allem Kinderarmut und Perspektivlosigkeit. Auf viele Herausforderungen wie die inklusive Schule wurden die Pädagogen nicht vorbereitet. Bis die dafür ausgebildeten Lehrer an die Schulen kommen, dauert es rund sieben Jahre. Deswegen brauchen die Kollegen, die jetzt an den Schulen sind, Zeit und gute Fortbildung, und zwar nicht nachmittags nach langer Anfahrt von 15 bis 18 Uhr, sondern tagsüber in den Schulen und so, wie sie gebraucht wird.

„Ideale Bildung kostet 57 Milliarden Euro pro Jahr“

Wie sieht die ideale Bildung aus?

Tepe:

Die Schulen sind multiprofessionell aufgestellt. Lehrer, die in ausreichender Zahl vorhanden sind, sich ständig weiterbilden können, in modern ausgestatteten Gebäuden arbeiten und nach wie vor im Zentrum der Bildung stehen, werden unterstützt durch Sonderpädagogen, Moto- und Logopäden, Ergotherapeuten, Sozialarbeiter und andere Spezialisten wie Schulpsychologen und Schulärzte. Wir haben ausgerechnet, dass diese Vision bundesweit rund 57 Milliarden Euro jährlich kosten würde.

Eine gewaltige Summe. Wie wollen Sie diese Vision durchsetzen?

Tepe:

Wir sind in regelmäßigem Austausch mit der Kanzlerin. Mit den Vorsitzenden der anderen DGB-Gewerkschaften treffen wir uns mit ihr etwa alle drei Monate zu Gesprächen, und auch auf der Ebene der Minister und Staatssekretäre treten wir für unsere Forderungen ein. Als die GEW die Bildungspolitiker der Bundestagsfraktionen in die schleswig-holsteinische Landesvertretung eingeladen hatte, kamen zum ersten Mal nicht nur Vertreter der traditionell gewerkschaftsnahen Parteien, sondern auch Männer und Frauen der CDU. Die Berührungsängste schwinden, wir wollen eine ganz große Koalition für die Bildung.

Sie sind seit gut einem Jahr im Amt. Macht es noch Spaß?

Tepe:

Und wie. Ich kann meine Erfahrungen einbringen und in vielen Gesprächen Bildung nach vorn stellen. Ich bin ständig unterwegs und habe in dieser Zeit noch nicht einmal mehr als drei Nächte hintereinander in einem Bett verbracht. Ich besuche die GEW-Landesverbände, bin aber auch bei internationalen Kongressen in Amerika oder Neuseeland und gehe so oft wie möglich in Schulen, um mir anzuhören, wo die Kollegen der Schuh drückt und die Bodenhaftung zu behalten. Es war genau der richtige Zeitpunkt, von der schleswig-holsteinischen auf die nationale und internationale Bühne zu springen.

Was wollen Sie in Ihrer Amtszeit bis 2017 erreichen?

Tepe:

Ich möchte, dass die Bildung nicht nur in Sonntagsreden vorkommt, sondern dass Politik auch tatsächlich mehr für bessere Bildung tut und für gute Arbeitsbedingungen von Pädagogen sorgt. Zum anderen wollen wir als Gewerkschaft mit aktuell 270.000 Mitgliedern noch attraktiver werden und weiter wachsen. Und dafür wollen wir verstärkt junge Mitglieder gewinnen.