Wo Heinrich Kraft 1893 sein Möbelhaus gründete, steht heute die erste Inklusions-Kaffeerösterei im Kreis Segeberg

Bad Segeberg. Manuel Grüttner, 29, hat sich „verliebt“ – in eine große Kaffeebohne. Er setzt sich neben die lustige Puppe und sagt: „Ich trinke gerne Kaffee.“ Die Bank steht vor einem Haus mit Tradition. Auf diesem Grundstück hat Tischlermeister Hinrich Kraft im Jahr 1893 das Möbelhaus Kraft gegründet. Heute steht hier die erste Inklusions-Kaffeerösterei im Kreis.

Manuel hat das Down Syndrom. Er wohnt in Blunk, seit elf Jahren arbeitet er in Wahlstedt in einer Behinderten-Werkstatt. „Manuel möchte gerne mal woanders hin“, sagt seine Mutter Gabriele. „Vielleicht erhält er hier eine Chance, denn Familie Schaffer zeigt ein tolles Engagement für Menschen mit Behinderung.“

Ralf Schaffer, 46, aus Bad Segeberg, Geschäftsführer der Kalkberg-Kaffeerösterei in der Hamburger Straße, bestätigt: „Wir wollen die Rösterei in einem Team gemeinsam mit Behinderten und Nichtbehinderten sowie mit Menschen, die aus anderweitigen Gründen keine Arbeit finden, betreiben. Jeder ist herzlich willkommen.“

Das Kaffeerösten hat Schaffer nicht von der Pike auf gelernt. Er kommt aus der Musikbranche. Schon mit vier Jahren stand für ihn fest: Ich will Musiker werden. Drei Jahre später gründete er eine Band, mit 18 ließ er sich an der Rock-Universität in Hamburg zum Sänger ausbilden. Als er 27 war, beendete ein Autounfall seine Karriere.

Ralf Schaffer wechselte daraufhin ins Musikmanagement. Er betreute Künstler, organisierte Veranstaltungen, kümmerte sich um Sponsoren und aquirierte Spenden für soziale Projekte. Viele Jahre arbeitete er mit Peter Maffay zusammen. Auch zu Udo Lindenberg hatte er Kontakte. Schaffer baute ein großes Netzwerk auf und war bestens im Geschäft. 2013 war Schluss damit, Schaffer traf eine Entscheidung, die aus dem Herzen kam: „Das Musikbusiness ist nichts mehr für mich. Ich gebe alles auf und wage einen Neubeginn. Ich möchte etwas Gutes tun. Ich bin sicher, dass meine Frau Ulrike dafür Verständnis hat und mich unterstützt.“

Er hatte eine Entdeckung gemacht, die sein Leben in eine andere Richtung steuern sollte: „Es gibt nichts, was für die Region steht – nur die Karl-May-Festspiele am Kalkberg. Das soll sich ändern.“ Glück hatte er auch noch: Niemand hatte sich bisher den Namen „Kalkberg“ schützen lassen, das holte Schaffer sofort nach.

Schaffer hatte zuvor unzählige Gespräche mit der Politik geführt

Der leidenschaftliche Kaffeetrinker erfand den „Kalkberg“-Kaffee mit dem Werbeslogan „So schmeckt Segeberg“. Schaffer, heute im Besitz einer zertifizierten Röstmeister-Lizenz, hatte zuvor unzählige Gespräche mit der Politik geführt und die vielen Skeptiker irgendwann davon überzeugt, dass hinter seinen Plänen ein soziales Projekt mit Zukunft steht.

Schaffer setzt auf Qualitätskaffee aus Südamerika, Afrika, Asien, Indien und Indonesien. 6000 Kaffeesorten hat er getestet, 13 Sorten, darunter drei Mischungen, bietet er an, die meisten aus Nicaragua – aus dem einzigen Land in der Dritten Welt, in dem Frauen Land besitzen dürfen.

Die Röstung der einzelnen Sorten geschieht im traditionellen Trommelröstverfahren. Hierbei wird der Kaffee bei ca. 190–210 Grad 15–25 Minuten schonend geröstet. Den Röster, 375 Kilogramm schwer, nennt Schaffer liebevoll „Big Mama“.

Inklusion, Nachhaltigkeit und Vermarktung der Region: Das sind die Säulen, auf denen sein Konzept steht. Schaffer kämpft, dass Behinderte den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zurückfinden; er vermeidet Müll, er verkauft Kaffee in metallenen Pfanddosen aus Österreich, Pralinen und Schokoladentäfelchen in Tüten aus Maisstärke, die kompostierbar sind und Essenzen in Glasflaschen. So möchte Schaffer die Region Segeberg verstärkt ins Bewusstsein der Touristen bringen, die bisher ausschließlich die Karl-May-Spiele im Hinterkopf hatten.

Vor ein paar Tagen kam Post von der Rocklegende Peter Maffay

Mit den Plänen haben sich auch Landrätin Jutta Hartwieg und Bernd Jorkisch, der Vizepräses der Industrie- und Handelskammer Lübeck angefreundet. „Ich bin begeistert, was Ralf Schaffer für die Vermarktung der Region und für die Inklusion macht“, sagt sie. Holzkaufmann Jorkisch aus Daldorf, ein Kaffeekenner, war der erste Kunde. Der Kalkberg-Kaffee, Sorte Java Preanger, könnte sein morgendliches Lieblingsgetränk werden.

Vor ein paar Tagen hat Rocklegende Peter Maffay seinem alten Weggeführten Ralf Schaffer ein Bild geschickt, ihm alles Gute und viel Erfolg im neuen Metier gewünscht. „Dieses Foto erhält einen Ehrenplatz“, sagt Ralf Schaffer.