Falls Ihnen dieser Tage Ihre Nachbarn schwarzgekleidet auf der Straße begegnen, müssen Sie nicht zum Trauerfall kondolieren.

Höchstwahrscheinlich sind sie nämlich nicht auf dem Weg zu einer Beerdigung, sondern fahren nach Wacken. Dorthin reisen eigentlich fast alle – und das ist irgendwie auch ein Problem.

75.000 Festivaltickets, ausverkauft binnen 44 Stunden. Zur 25. Wacken-Open-Air-Auflage gibt es Heavy Metal und eine Fantastillion Liter Dosenbier. Was für eine verheißungsvolle Perspektive für einen Wacken-Erstbesucher im Teenageralter! Der reist im Kreise seiner Kumpel an, stellt sein Zelt auf und erblickt: Überall Ü-50-Typen. Stinknormale Menschen, die ihren seriösen Alltag für fünf Tage Eskalation unterbrechen. Karneval mit Nietenarmband. Früher war ein Metal-Festival vor allem etwas für junge Leute – und selbst unter denen nur für die Unangepassten, Besonderen. Heute ist Wacken längst ein gesellschaftlicher Konsens. Mein Tipp für die Unangepassten, Besonderen von heute: In Bayreuth die Wagner-Festspiele besuchen. Das ist anrüchig. Da ist man noch unter sich. Alle sind bunt gewandet. Wenn sich bei den Wagner-Festspielen zwei Damen im gleichen Kleid begegnen, liegt doppelter Suizid in der Luft. In Wacken tragen alle schwarze Shirts und Schlamm. Manchmal auch nur Schlamm. Ist egal. Suizid liegt hier nur in der Luft, wenn das Dosenbier alle ist. Nur: Unter sich – das ist man in Wacken garantiert nicht mehr. Wer auf seiner Eskalationssause ganz bestimmt lieber nicht seinem Chef, der Lehrerin, den Nachbarn oder den Eltern begegnen will, der sollte aufs W:O:A besser verzichten. Die sind nämlich alle da. Die sind damit aufgewachsen. Und deshalb, liebe Wacken-Erstbesucher im Teenageralter, wundert euch nicht: Die Festival-Veteranen hören Musik noch lauter als ihr (sie sind bereits halb taub), feiern länger (jahrelange Routine) und haben die Morgentoilette bereits erledigt, während ihr noch auf der Suche nach einem freien Dixi-Klo mit zusammengekniffenen Knien über 220 Hektar Gelände irrt. Wenn ihr etwas ganz Eigenes wollt, müsst ihr es euch selbst erfinden. An der Zeit wäre es vielleicht mal. Oder ihr fahrt alternativ nach Bayreuth.

Aber ich sage es euch lieber gleich: In der Villa Wahnfried gibt’s kein Dosenbier.