Das DRK aus Kaltenkirchen ist zuständig für den Sanitätsdienst beim Festival. Das Abendblatt hat die Helfer begleitet

Wacken/Kaltenkirchen. Nils Bade ist in seinem Element. Fast schon wie ein Sightseeing-Guide führt er seine Besucher über die Felder, durch die Straßen, das pulsierende Zentrum, vorbei an den Sehenswürdigkeiten und schließlich auf die Partymeile der momentan kurzzeitig drittgrößten Stadt in Schleswig-Holstein. Wacken, 51 Wochen im Jahr ein beschauliches Dorf nahe Itzehoe, ist bis Sonntagabend Nabel der Metalwelt. Jede Minute enthält kontrolliertes Chaos, Ekstase, Tragik, Donnerhall. „Das Schlimmste ist diesmal aber dieser permanente Staub“, sagt Bade. Denn die Sommerhitze hat den Boden austrocknen lassen, die Sichtweite beträgt manchmal höchstens 100 Meter.

Im Auge dieses (Sand-)Sturms: das Deutsche Rote Kreuz aus Kaltenkirchen, zuständig für den Sanitätsdienst. Nils Bade ist Bereitschaftsleiter der Einsatzkräfte, er kennt das 250 Hektar umfassende Areal – weiß, wie die Musikfans ticken. „Die Menschen hier sind alle friedlich“, sagt er. Und doch müssen Sanitäter, Rettungsassistenten, Ärzte, Koordinatoren – eben sämtliche Ersthelfer – nonstop an ihre körperlichen Grenzen gehen.

Die Kernzeit: Von 15 Uhr nachmittags bis 3 Uhr nachts. „Ab 14 Tage vor dem Festival haben wir alles hochgezogen“, so Nils Bade. Das DRK bezog Stellung mit einem Behandlungszelt, mit Wohncontainer, Rettungswagen, Quads und einer Crew von 467 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet, aus Österreich und den Niederlanden. Die Kaltenkirchener Abordnung besteht aus 30 Personen. Nicht nur das Rote Kreuz, auch Johanniter, DLRG, THW oder Malteser leisten freiwillig Dienst. So wie Carla Bräunig und Katharina Bayer aus München, die extra für eine Kollegin, die aus gesundheitlichen Gründen passen musste, eine „Sani-Puppe“ mitgebracht haben. „Anne war so mega enttäuscht, als sie absagen musste. Jetzt weiß sie, dass wir an sie denken, dass sie hier auch dabei ist“, sagen die beiden Sanitäterinnen.

Sie alle bekommen keinen Cent für ihre Tätigkeit, doch der Job ist genauso begehrt wie ein Festivalticket. „Wir nehmen die Bewerbungen über das Internet entgegen, anders geht es nicht“, sagt Jürgen Schumacher, Leiter des Ortsvereins Kaltenkirchen und vor Ort so etwas wie der oberste Repräsentant seines Teams. 850 Anwärter hat es gegeben, sie alle wurden geprüft – denn gesucht sind fähige Helfer, die jedem Ansturm standhalten und sich nicht ablenken lassen. Selbst wenn das eigene Wort nicht mehr verstanden werden kann.

Der Wahnsinn – im positiven Sinne – begann am Mittwoch um 0 Uhr, seit Donnerstag sind alle Campingplätze voll. Gleiches gilt für die Notaufnahme. Im Prinzip ist es ein Mini-Hospital mit allgemeinem Behandlungsbereich für kleine Wehwehchen, mit einer zentralen Ausnüchterungszone sowie einem Intensivbereich. Die Atmosphäre ähnelt einem Feldlazarett. Vieles muss schnell gehen, den meisten Menschen genügt es, „geflickt“ zu werden, mit einem Verband zieht es jeden rasch wieder ins „Infield“, ganz gleich, ob nur noch humpelnd. „Wenn wir Leute zur Untersuchung in eine Klinik fahren wollen, werden sie stinkig“, sagt Nils Bade. Das kann er nachvollziehen. „Die haben ja auch viel Geld bezahlt.“

Das Open-Air hat ein eigenes Straßennetz, die Wege sind nach berühmten Bands oder Musikern benannt. Die Sanitäter müssen sich hier zurechtfinden. „Wer Hilfe braucht, wählt die 112“, erklärt Nils Bade. Dann wird in der Regel ein Treffpunkt ausgemacht, von dort werden die Helfer zum Zelt geleitet. Schwierig wird es immer abends, wenn Zehntausende vor der „True Metal“ und der „Black Stage“ feiern. Knickt jemand beim Pogo um, erleidet eine Platzwunde oder einen Kollaps, sind die Helfer direkt neben der Bühne gefragt. Nils Bade: „Und dann kommen wir mit den Quads, die können sich charmant durch die Menge schlängeln.“

Einer der Mediziner, der die Pechvögel in Empfang nimmt, ist Dr. Sandu Deunert, 50, aus Kisdorf. „Wir machen hier viel Hausarzt-Versorgung.“ Notgedrungen, denn der einzige Arzt in Wacken fährt in der Festivalzeit traditionell in den Urlaub – so sind DRK & Co. auch für die Dorfbewohner zuständig.

Deunert schildert die große Bandbreite der Fälle. „Manchmal geht es nur um eine Kopfschmerztablette oder die Pille danach. Aber wir hatten auch einen schweren Herzinfarkt. Dort waren wir mit dem Quad in dreieinhalb Minuten vor Ort, das hätten wir ansonsten in einer vergleichbar großen Stadt nie geschafft. In jedem Jahr gibt es ein, zwei Fälle, bei denen ich sage: Die Menschen würden nicht mehr leben, wenn es nicht in Wacken passiert wäre.“

Das Wacken-Tagebuch des DRK gibt es unter www.drk-segeberg.de