Höhenretter trainieren im Hochregallager von Jungheinrich. Verunglückter wird aus 31 Meter Höhe abgeseilt

Kaltenkirchen. Der Techniker will die Sprinkleranlage des Hochregallagers warten. Er fährt mit dem Gabelstapler auf 31 Meter Höhe. Es ist heiß, die Luft ist schlecht. Dem Mann wird übel, der Kreislauf streikt, er kippt von der Arbeitsfläche, fällt in die Sicherung, wird ohnmächtig – ein Fall für die Höhenretter. 14 Männer der Freiwilligen Feuerwehr Kaltenkirchen gehören zum Spezialisten-Team, die sofort darauf hinweisen, dass sie sich mangels ausreichend Personal nicht Höhenretter nennen dürfen, weil nur vier Kameraden zu Höhenrettern ausgebildet sind. Die Gruppe Absturzsicherung/Seiltechnik lautet der offizielle Titel, Höhenretter beschreibt aber viel besser, was die Männer in den dunkelblauen Overalls auszeichnet: Schwindelfreiheit und der sichere Umgang mit Klettergurten, Seilen, Karabinerhaken sowie das Beherrschen von Auf- und Abseiltechniken.

Nun sind sie ausgerückt, um den Mann, der im Lager von Jungheinrich unter der Decke baumelt, auf den Boden zurückzuholen. Der ist einer von ihnen, es handelt sich um eine Übung. „Wir sind zum vierten Mal hier und begrüßen es außerordentlich, dass uns das Unternehmen immer wieder das Lager zur Verfügung stellt“, sagt Feuerwehrsprecher Maikel Plekat. Doch auch Jungheinrich profitiert: „Wenn wirklich mal etwas passiert, können Männer eingreifen, die sich hier gut auskennen“, sagt Dirk Möller, Brandschutzbeauftragter des weltweit tätigen Gabelstaplerherstellers, der sein größtes Werk in Norderstedt betreibt und das moderne Hochregallager erst vor Kurzem in Kaltenkirchen eingeweiht hat.

Auch die Polizei trainiert ihre Spürhunde regelmäßig im imposanten Neubau an der Grenze zu Henstedt-Ulzburg. Sprengstoffproben werden in den Regalen versteckt. „Der extrem gute Geruchssinn der Tiere wird auf eine harte Probe gestellt, hier wimmelt es von Gerüchen, die die Gummischläuche oder fettige Handschuhe absondern“, sagt Möller. Da zeige sich so mancher junge Hund noch irritiert, die Profis auf vier Pfoten geben Nachhilfe.

Doch zurück zu den Höhenrettern, die jetzt gefordert sind, um den Verunglückten, gespielt von Thomas Hansen-Jäckel, möglichst schnell aus seiner gefährlichen Lage zu befreien. Claas-Hendrik Heß sprintet mit Seilen und Karabinerhaken über die Treppe ins oberste Stockwerk des 31 Meter hohen Lagers, in dem mehrere 100.000 Ersatzteile für Hubwagen, Gabelstapler, fahrerlose Transportsysteme und weitere Produkte aufbewahrt werden. Heß klettert auf die höchste der 21 Regalebenen, bei 30 Grad läuft dem 50-jährigen Senior der Einsatzgruppe der Schweiß unter dem Overall über den ganzen Körper.

Tempo ist gefragt, denn dem „bewusstlosen Techniker“ droht ein Hängetrauma: Die Gurte, in den der Mann hängt, drücken auf die Oberschenkel und stoppen die Blutzufuhr. Das Blut versackt in den Beinen, das Gehirn wird nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt, ein Hängetrauma kann tödlich enden. Der Retter seilt sich an, greift sich seinen Kameraden so, dass der quasi auf ihm sitzt, und steuert das Abseilen selbst mit dem mitlaufenden Steigsystem. Unten angekommen, wird der „Verunglückte“ sofort hingesetzt, die Beine angewinkelt. „Diese Position ist enorm wichtig, damit das Blut langsam zurückfließen kann“, sagt Plekat.

Die Spezialisten sind die einzigen Höhenretter im Kreis Segeberg, weitere Höhenretter sind in Rendsburg, Kiel und Dithmarschen stationiert. Sie alle haben eine profunde Ausbildung durchlaufen, Hansen-Jäckel musste in Hamburg unter anderem auf bis zu 70 Meter hohe Kräne im Hafen klettern, um seine Tauglichkeit zu beweisen. Üben ist für ihn und seine Kameraden Pflicht. Mindestens 74 Stunden Training im Jahr sind gefordert, mindestens einmal im Monat treffen sich die Kaltenkirchener Höhenretter zu Theorie und Praxis. Neben Jungheinrich proben die Männer am Möbel- und Einrichtungshaus Dodenhof oder auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Moorkaten, dort vor allem das Retten aus Bäumen – eine Erfahrung, die dem Team beim jüngsten Ernstfall zugutekam: Vor zwei Wochen holten sie eine junge Fallschirmspringerin nach einem missglückten Absprung nahe dem Flugplatz Hartenholm aus einer Baumkrone.

Was müssen Höhenretter mitbringen? „Sie müssen höhen- und atemschutztauglich sein“, sagt Feuerwehrsprecher Plekat. Das werde regelmäßig medizinisch untersucht. Und was fasziniert die Männer an der Spezialaufgabe? „Ein bisschen ist es schon der Nervenkitzel. Aber auch der Wunsch, helfen zu wollen, und die Kameradschaft spielen eine große Rolle“, sagt Plekat. Das Team sei ein „eingeschworener Haufen“. Und dass der gut funktioniert, hat die Rettungsgruppe bei der aktuellen Übung mal wieder bewiesen: In 20 Minuten war der „Verunglückte“ aus einer bedrohlichen Lage befreit, Plekat spricht von einer erfolgreichen Trainingseinheit.