Als Student hat Ivens Hübert in Norderstedt gelebt. Für uns berichtet er von der WM

Norderstedt. Noch schnell zu einer Hochzeit in Spanien, dann sofort zurück nach Brasilien. Die Fußballweltmeisterschaft ruft, und da ist ein Brasilianer nicht gern in der Welt unterwegs. Auch nicht in Hamburg und auch nicht, wenn er selbst ein halber Deutscher ist. Ivens Hübert ist in Brasilien geboren, aber seine Eltern kommen aus Deutschland.

„Ich habe zwei Pässe, ich bin Brasilianer und Deutscher, und was ich mache, wenn Brasilien gegen Deutschland im Endspiel steht, olà, das wird hart“, sagt Ivens Hübert auf seiner Stippvisite in Norderstedt. „Allerdings“, gibt er zu, „bin ich dann doch Brasilianer und drücke für mein Land alle Daumen“. Sollte indes Deutschland im Endspiel gegen eine andere Nation stehen, ist sein Favorit auch klar: seine zweite Heimat.

Die Promotion des Rechtsanwalts machte es notwendig, für nur eine Woche von Brasilien nach Deutschland zu fliegen; ein Gespräch mit seinem Doktorvater über die letzten Lesungen seiner Arbeit. Er hofft, im Januar promoviert zu werden.

Fünf Jahre, von 2008 bis 2013, lebte der 34-Jährige bei Verwandten in Norderstedt und forschte an der Hamburger Universität für seine Promotion. „Deutschland ist in den Rechtswissenschaften hoch angesehen, und eine Promotion in Deutschland öffnet in Brasilien ganz neue Chancen, weil unser Land eng mit der deutschen Wirtschaft zusammenarbeitet“, sagt Hübert in akzentfreiem Deutsch. Er wuchs zweisprachig auf, portugiesisch und deutsch.

Sein Fachgebiet ist das Gesellschafts- und Insolvenzrecht. Dröge? „Nein, ungeheuer spannend“, sagt der Doktorand und lacht. Das Thema seiner Doktorarbeit ist hochaktuell: „Die Pflichten der Geschäftsführung der Unternehmer im Vorfeld einer Insolvenz unter besonderer Berücksichtigung der Prognose-Stellung zur Erkennung der Insolvenz.“ Wäre das ein Thema für den HSV? Da schweigt der HSV-Fan diskret und lächelt.

Ivens Hübert kommt aus Curitiba im Süden Brasiliens, dort, wo es europäisch ist. Wenigstens von den Temperaturen. Deshalb haben seine Großeltern Gerd und Helge Arand sich bei ihrer Auswanderung aus Deutschland für den Süden entschieden.

Klar, dass Ivens Hübert in seiner Heimatstadt Curitiba zum WM-Spiel ins Stadion geht. Russland gegen Algerien am 26. Juni. „Ich hätte nur noch für ein Spiel in Manaus im Norden Brasiliens Karten bekommen, aber das ist 4000 Kilometer von Curitiba entfernt“, sagt Hübert. Er guckt sich die anderen Spiele mit Familie und Freunden beim Public Viewing an oder im Fernsehen.

Ivens Hübert ist mit Fußball aufgewachsen: „Fußball ist in Brasilien wie Atmen.“ Wer laufen kann, kickt auch. Jedes Kind spielt bereits in der Schule Fußball, der Run von 22 Leuten hinter einem Ball gehört in den Stundenplan wie Mathe und Englisch. Heute spielt er in einem der zehn Fußball-Clubs der Rechtsanwälte in Curitiba. Immerhin hat die Stadt im Bundesstaat Paraná mehr als zwei Millionen Einwohner, Randgebiete nicht mitgerechnet.

„Ich habe mir auch sofort an der Hamburger Uni einen Fußball-Verein gesucht“, sagt Hübert. Kicken ist eben wie atmen und international.

Gleichwohl steht er der Umsetzung der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien kritisch gegenüber. Auch in Brasilien sei der Umbau der Stadien umstritten, vor allem, als beim Ausbau des Estadió do Maracaná in Rio de Janeiro vier Arbeiter ums Leben gekommen sind und ein indigenes Dorf von der Militärpolizei geräumt wurde.

„Die brasilianische Regierung hat uns vor sieben Jahren, als Brasilien den Zuschlag für die WM erhielt, versprochen, dass kein staatlicher Centavo in die Spiele fließt. Jetzt stellen wir fest, dass die Spiele voll von der Regierung finanziert werden“, sagt Hübert. Dafür fehle aber weiterhin Geld für dringende soziale Projekte. Die Wirtschaft des Landes würde zwar boomen, doch bei den Bedürftigen käme dieser neue Reichtum nicht an.

Mehr noch: Die Wohnviertel der Armen, die Favelas, seien enteignet, teilweise für Parkplätze wie am Maracaná-Stadion platt gewalzt worden. Große Demonstrationen sind die Folge, auch noch wenige Stunden vor Anpfiff des ersten Spiels. „Das Maracaná wurde 1950 für die erste WM in Brasilien gebaut, und jeder Brasilianer konnte sich eine Karte leisten. Die Platzzahl wurde halbiert, alle Stehplätze sind weg und die anderen Plätze zu teuer“, moniert Hübert. Den Angriff auf das indigene Dorf und ein Museum der Indios neben dem Maracaná-Stadion wertet Hübert als schweren Fehler.

Trotzdem würde Brasilien von der WM profitieren, vom Bau-Boom, von der Modernisierung der Infrastruktur im ganzen Land – auch Favelas seien saniert worden. Den Job der Drogen-Mafia hätten allerdings jetzt einige Polizisten übernommen. „Sie verdienen einfach zu wenig, das macht korrupt“, sagt der Rechtsanwalt.

„Ich hoffe, dass mit Anpfiff des ersten Spiels auch in Brasilien die Fußball-Begeisterung siegt, jedenfalls bis zum Endspiel“, sagt Hübert. Und wen sieht er im Endspiel? „Brasilien gegen Deutschland“, prophezeit der Brasilianer mit der deutschen Familie.

Ivens Hübert ist unser Mann in Brasilien und wird während der WM Aktuelles und Anekdoten für uns aufschreiben und über Kurioses, Komisches und Kritisches, über Spieler und Spiele, Stimmungen und Störungen berichten.