Polizei weitet regelmäßig eigene Kontrollmöglichkeiten aus, ohne die Öffentlichkeit zu informieren

Norderstedt. Alle Jahre wieder leben die Norderstedter monatelang in einem sogenannten Gefahrengebiet, ohne es zu ahnen. Bereits fünfmal hat die Polizeidirektion Bad Segeberg im Winter ihren Beamten in der Stadt „Anhalte- und Sichtkontrollen“ erlaubt. Fahrzeuge dürfen bei Verdacht gestoppt werden. Auch der Blick ins Auto, die „Inaugenscheinnahme“, ist erlaubt, ohne dass der konkrete Verdacht auf eine Straftat vorliegt. Norderstedt ist der einzige Ort im Kreis Segeberg, in der die Polizei regelmäßig zu diesen Befugnissen greift, um der ausufernden Einbruchskriminalität Herr zu werden.

„Wir haben die Kontrollen stets angekündigt“, sagt eine Polizeisprecherin. Davon, dass die Polizei dafür in Norderstedt eine Sonderregelung des Landesverwaltungsgesetz nutzt, war öffentlich jedoch nie die Rede. Die Polizei vermeidet, von Gefahrengebieten zu sprechen, um Verwechslungen mit Hamburger Regelungen auszuschließen. Dort kann die Polizei Gefahrengebiete ausweisen und darf dann ohne Verdachtsfall Personalien kontrollieren und einen Blick in Taschen werfen. Zum Repertoire der Polizei gehören außerdem Platzverweise und Gewahrsamnahmen. In die Diskussion gerieten diese Regelungen im vergangenen Jahr, nachdem Linksextremisten schwere Straftaten gegen Polizisten verübt hatten und die Polizeiführung ganze Stadtteile zum Gefahrengebiet erklärte.

Die Beamten dürfen den Fahrer ansprechen und ins Auto schauen

Soweit wie in Hamburg darf die Polizei in Schleswig-Holstein in ihren „Gefahrengebieten“ nicht gehen. Ein Beispiel: Stoppt die Polizei nachts um 3 Uhr in einem Gewerbegebiet ein Fahrzeug, das langsam und scheinbar ziellos umherfährt, dürfen die Beamten den Fahrer ansprechen, warum er sich dort aufhält und ins Auto schauen – mehr nicht. Erst wenn sich ein Verdacht ergibt, weil zum Beispiel eine Brechstange auf dem Rücksitz liegt, dürfen sie das Fahrzeug durchsuchen und die Personalien der Insassen überprüfen.

Das Amtsgericht Bad Segeberg genehmigte Verlängerungen

Viele Polizisten sprechen von einem sinnvollen Regelwerk, das seit April 2007 gültig ist und ihnen eine sichere Rechtsgrundlage bietet, um Fahrzeuge zu stoppen. Noch vor wenigen Jahren durfte die Polizei verdächtige Autos nur bei Verkehrskontrollen anhalten. Zuweilen war der Blick in den Führerschein und auf den angelegten Gurt jedoch nur vorgeschoben. „Das war häufig eine Krücke und nie so ganz sauber“, sagt ein Beamter. Tatsächlich ging es immer wieder auch um Verdächtige, die möglicherweise eine Straftat planten und überprüft wurden. Anhalte- und Sichtkontrollen dienen der Gefahrenabwehr, bei Verkehrskontrollen geht es um die Verfolgung von Delikten.

„Die für einen bestimmten örtlichen Bereich angeordnete Maßnahme soll zunächst auf maximal 28 Tage befristet werden“, heißt es im Landesverwaltungsgesetz. Zweimal darf die Polizei die Frist um jeweils 28 Tage verlängern. Danach muss ein Gericht über eine weitere Verlängerung entscheiden. In allen fünf Wintern lag das Okay des Amtsgerichts Bad Segeberg vor.

Außerdem dürfte den meisten Bewohnern des Kreises Segeberg unbekannt sein, dass sie sich zuweilen an einem „gefährlichen Ort“ aufhalten. Dort darf die Polizei noch weiter in Grundrechte eingreifen als in den „Gefahrengebieten“ mit den Sichtkontrollen.

Der Bahnhof Garstedt gehört zu den „gefährlichen Orten“

An einem „gefährlichen Ort“ können Beamte sich zum Beispiel Ausweise zeigen lassen und einen Blick in Taschen werfen. Damit will die Polizei Kriminalität in einem lokal sehr begrenzten Ort bekämpfen. Dazu gehören zum Beispiel der Bahnhof Garstedt in Norderstedt, in dessen Umfeld es immer wieder zu Raubüberfällen kommt. Zwei weitere „gefährliche Orte“ hat die Polizei in Norderstedt und Wahlstedt im Kampf gegen Rockerbanden ausgerufen. Bis zum vergangenen Jahr galt auch der Flottmoorring in Kaltenkirchen als „gefährlicher Ort“, nachdem es im Hochhaus „Großer Karl“ immer wieder zu schweren Brandstiftungen und anderen Straftaten gekommen war. Was ein gefährlicher Ort ist, definieren auf regionaler Ebene die Stations- und Revierleiter der Polizei.

Über manchen „gefährlichen Ort“ spricht die Polizei nur ungern. Zu groß ist die Sorge, dass Kriminelle sich auf die Kontrollen einstellen.