Prof. Utz Schliesky, Direktor des schleswig-holsteinischen Landtags, wirft die Frage auf, ob der heute verbreitete Dienstleistungs-Anspruch der richtige Maßstab ist

Hamburger Abendblatt:

Kommunale Verwaltungen verkaufen sich zunehmend als Dienstleister. Werden sie Ihrer Beobachtung nach unterm Strich diesem Anspruch gerecht?

Utz Schliesky:

Die meisten Kommunalverwaltungen haben sich in den letzten Jahren sehr stark verändert, bieten von besseren Öffnungszeiten bis hin zu modernen Bürgerbüros einen guten Service. Die Frage ist allerdings, ob der Dienstleistungs-Anspruch überhaupt der richtige Maßstab ist. Denn man darf nicht vergessen, dass Kommunalverwaltungen auch für den Bürger unerfreuliche Entscheidungen zu treffen haben. Im Bereich des Ordnungsrechts wird es daher schwerfallen, die Verwaltung als „Dienstleister“ zu begreifen. Die Verwaltung kann und darf aufgrund ihres Auftrags nicht mit einem Privatunternehmen verwechselt werden.

Bürger beklagen „zu viel Bürokratie“. Zu Recht?

Schliesky:

Ja und nein. Wir betreiben in Deutschland in der Tat nach wie vor zu viel bürokratischen Aufwand, doch liegt dies in der Regel nicht an den Kommunalverwaltungen, sondern an den übergeordneten Ebenen, die oftmals mit großer Detailverliebtheit Entscheidungsspielräume einschränken. Auf der anderen Seite sind rechtliche Regelungen Ausdruck unseres funktionierenden Rechtsstaats, um den uns viele – auch europäische – Staaten beneiden. Und zu guter Letzt darf nicht vergessen werden, dass auch viele Bürger an der Bürokratie mitschuldig sind, da sie es oft selbst sind, die detaillierte Regelungen aller Lebensbereiche verlangen.

Wie viele Einwohner sollten mindestens im Zuständigkeitsbereich einer Kommunalverwaltung leben?

Schliesky:

In dem für Schleswig-Holstein prägenden ländlichen Raum wäre es aus vielerlei Gründen sinnvoll, 30.000 bis 40.000 Menschen durch eine Verwaltung zu betreuen. Die Verwaltung muss nicht deckungsgleich mit einer politischen Gemeinde sein – die Ämter sind das beste Beispiel dafür. Ich bin großer Anhänger unserer kleinteiligen Gemeindestruktur, da auf diese Weise viele Aufgaben ehrenamtlich und damit kostengünstig erledigt werden.

Ämter ist das Stichwort: Worin unterscheiden sich ihre Verwaltungen von den Rathäusern?

Schliesky:

Die Verwaltung von Städten und amtsfreien Gemeinden sind deckungsgleich mit der politischen Gemeinde, während die Amtsverwaltungen für mehrere ehrenamtlich verwaltete Gemeinden zuständig sind und aufgrund der demokratischen Legitimation der Gemeinden politisch von diesen Gemeinden gesteuert werden. Die Unterschiede sind beträchtlich, wobei das Amt an sich eine sehr moderne Organisationsform für Verwaltungen ist, da mehrere Akteure sich zusammentun und Synergien bilden. Denn jede Gemeinde für sich könnte sich eine solche Verwaltung überhaupt nicht mehr leisten. Allerdings haben wir in Schleswig-Holstein ein großes Problem, weil die derzeitige rechtliche Struktur der Ämter nicht zukunftsfähig ist. Als Folge eines grundlegenden Urteils des Landesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber entschieden, dass den Ämtern nur noch fünf Aufgaben aus einem gesetzlichen Katalog von 16 Aufgaben übertragen werden dürfen. Ich sehe dadurch die Entwicklungsfähigkeit des ländlichen Raumes gefährdet.