Eine Wiese am Harthagen wird eine von 45 Stationen des Europa überspannenden LOFAR-Radioteleskops. Die Forscher wollen ein ganz neues Bild des Universums erstellen, den Urknall erforschen oder Pulsare entdecken

Norderstedt. Die Professoren Marcus Brüggen und Loris Verbiest haben es in ihren Forschungen mit Dimensionen zu tun, die jede herkömmliche Vorstellungskraft sprengen. Wenn Verbiest zum Beispiel sein liebstes Studienobjekt erklärt, den Pulsar, dann klingt das so: „Das sind Riesensterne, die kurz davor stehen, in einer Supernova zu vergehen. Sie sind am Ende etwa so groß wie der Großraum Hamburg, sie wiegen so viel wie 300 Quadrillionen Elefanten. Anders ausgedrückt: Ein Fünftel Teelöffel ihrer Masse wiegt so viel wie die komplette Menschheit. Ein Tetrapack Milch würde auf diesen Sternen 700 Billionen Kilo wiegen. Und die Sterne drehen sich mit der Geschwindigkeit eines durchschnittlichen Küchenmixers.“

Um die Vorstellungskraft noch weiter zu beanspruchen, erklärten Verbiest und Brüggen am Freitag, dass Pulsare in den unendlichen Weiten des Universums ab sofort eine direkte Beziehung mit dem Acker des Norderstedter Landwirts Hans-Peter Krohn am Harthagen in Norderstedt eingehen.

Denn dort wird ab Juli die sechste deutsche LOFAR-Station entstehen, 200 hochsensible Dipolantennen mit einer Höhe von 1,70 Meter, verteilt installiert auf der Norderstedter Wiese. LOFAR steht für Low frequency Array, ein Radioteleskop. Mit dem LOFAR gehen die Forscher der Universitäten in Hamburg und Bielefeld auf die Jagd nach Radiosignalen. Nicht jenen, die von Rundfunk, Fernsehen oder Mobilfunk ausgestrahlt werden. Sondern jenen, die vor Milliarden von Jahren bei der Entstehung der allerersten Sterne im Universum entstanden sind. Es sind die Sendungen vom Anbeginn der Zeit.

Die Forscher wollen Dinge entdecken, von denen sie noch keine Ahnung haben

„Wir wollen uns ein Bild des Universums machen, wie es noch nie entstanden ist“, sagt Professor Brüggen. Es gebe da draußen im Weltall so viel mehr Information als das sichtbare Licht. Sich darauf zu beschränken würde bedeuten, mit engen Sehschlitzen das Universum abzusuchen. Wer die Augen ganz weit aufmachen will im All, der muss die Radiosignale nutzen, die sich mit Hochleistungs-Computern zu noch nie da gewesenen Bildern zusammensetzen lassen. „Natürlich hoffen wir, Dinge zu entdecken, von denen wir noch keine Ahnung haben. Der Traum jeden Forschers.“

Um die unendlich schwachen Signale empfangen zu können, braucht es ein möglichst unendlich großes Teleskop. Mindestens aber so groß wie ganz Westeuropa. Um Durchmesser von mehreren 100 Kilometern zu realisieren, bedienen sich die Forscher eines Tricks. 45 LOFAR-Stationen, verteilt in Holland, Frankreich, Großbritannien, Schweden und Deutschland, sammeln 24 Stunden am Tag Mess-Daten. Ausgewertet werden diese ungeheuren Datenmengen von einem Super-Computer in Holland, der über die Ankunftszeiten bestimmter Radio-Wellen an den unterschiedlichen Stationen ein Bild des Universums zusammensetzt. So lassen sich der Urknall oder Pulsare erforschen, die kosmischen Magnetfelder untersuchen und die Sonnenaktivität oder das Weltraumwetter vorhersagen. „Das LOFAR ist das datenintensivste Projekt der Welt. Seit einem Jahr laufen die Stationen, wir haben bereits drei Petabyte an Daten gespeichert. Eine Terrabyte-Speicherplatte wäre bei uns in sechs Sekunden voll“, sagt Brüggen.

Doktor Dieter Engels von der Sternwarte der Universität Hamburg erklärt, warum Norderstedt für das LOFAR ein guter Standort ist. „Die Wiese am Harthagen ist ein strahlungsarmes Gebiet. Für die enormen Datenmengen, die die Antennen liefern, haben wir das hochleistungsfähige Glasfaser-Netz von wilhelm.tel zur Verfügung. Und die Unterstützung durch die Stadt Norderstedt für das Projekt war einmalig gut.“ Außerdem deckt die Norderstedter Station einen Bereich innerhalb des Radioteleskopes ab, der bislang blind war. „Norderstedt schließt eine Lücke im Universum“, sagt wilhelm.tel-Chef Theo Weirich. „Wir holen damit ein Stück Grundlagenforschung in unsere Stadt.“ Der Zeitplan für die Entstehung der LOFAR-Station steht. Der Papierkram sei erledigt, die Forscher rechnen im Juli mit dem Start der Bauarbeiten, ab November ist der Dauerbetrieb geplant. Zunächst müsse die Wiese am Harthagen plan gemacht werden. „Die Antennen müssen alle auf gleicher Höhe sein“, sagt Engels. Die Dipolantennen sind völlig unspektakulär und erwecken nicht im Geringsten den Anschein, irgendetwas mit den Weiten des Alls oder dem Urknall zu tun zu haben. Es sind schlicht Metallpfosten mit vier Stahlverstrebungen und einem Verstärker an der Spitze. Das andere Antennen-Modell verbirgt sich unter schwarzen Folien. Die Antennen liefern ihre Daten in einen Rechner in einem Container auf der Wiese. Von dort wandern sie per Glasfaserleitung zum Super-Computer nach Groningen in Holland. „Die Station erzeugt keine Geräusche, Strahlung oder Abgase. Sie steht nur da und liefert unablässig Daten. Nur ab und zu werden wir zur Wartung vorbeischauen“, sagt Engels.

Das Gelände wird lediglich mit einem Holzzaun vor Eindringlingen geschützt. „Natürlich lässt sich dort einiges an Schaden anrichten. Aber wir wollen keinen Hochsicherheitstrakt aus der Station machen“, sagt Professor Brüggen. „Vandalismus spielt auch bei den anderen Stationen kaum eine Rolle. Wir hoffen, dass dies in Norderstedt auch so ist.“

Die Urknall-Forschung ist auch ein Standortfaktor für Norderstedt

Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote gibt zu, dass der Wahlspruch Norderstedts („Eine Idee voraus!“) manchmal arrogant wirke. „Aber mit diesem Projekt sind wir wirklich meilenweit voraus.“ Er ist überzeugt, mit dem wissenschaftlichen Projekt einen weiteren Standortfaktor für die Stadt gewonnen zu haben. „Es ist für viele Unternehmen interessant, sich im Dunstkreis solcher Projekte anzusiedeln. So etwa spricht sich bis weit über die Grenzen der Stadt herum.“ Außerdem findet Grote es mehr als faszinierend, dass eine Norderstedter Wiese dazu beitragen wird, Einsteins Relativitätstheorie zu überprüfen oder die Frage zu klären, wie Norderstedt zu Zeiten des Urknalls ausgesehen haben mag.