Desorientierter Patient eines Norderstedter Pflegeheims konnte das Wimmern des todkranken Mannes nicht ertragen

Norderstedt/Kiel. „Ein Pflegeheim und Alterswohnsitz der gehobenen Klasse.“ Mit dieser Klassifizierung wirbt das Haus Hog’n Dor in Norderstedt um Bewohner. Und wahrscheinlich deshalb entschied sich Hilda S. 71, im Juni vergangenen Jahres, ihren Mann Karlheinz, 88, dort in die Kurzzeitpflege zu geben. Sie lag nach einem Sturz im Krankenhaus; er war an der Schulter operiert worden und hätte nicht selbstständig in der gemeinsamen Wohnung leben können. Doch in dem Pflegeheim fühlte er sich offenbar nicht gut aufgehoben. Sein schwerstkranker Bettnachbar – Krebs im Endstadium und blind – störte ihn durch ständiges Wimmern, Stöhnen und Klagen. Er störte ihn so sehr, dass sich Karlheinz S. am 17. Juni kurz vor 20 Uhr ein Kissen griff und es Günter B. aufs Gesicht drückte.

Jetzt muss sich S. vor der achten Strafkammer am Landgericht Kiel verantworten. Die Anklage wirft ihm versuchten Totschlag, allerdings im Zustand der Schuldunfähigkeit, vor. Aus Rücksicht auf den 88-Jährigen wurde die Verhandlung am ersten Verhandlungstag vorzeitig abgebrochen. Für Richter Jörg Bromman war es nicht einfach, zusammenhängende Informationen von S. zu erfahren. Der Angeklagte – zurzeit in einem geschlossenen Heim in Neustadt untergebracht und ein Pflegefall – wurde auf einer Trage in den Gerichtssaal geschoben und saß im Rollstuhl neben seiner Verteidigerin, Sonja Schönfeld-Meyer.

Vier Zeugen wurden am ersten Verhandlungstag gehört: drei Mitarbeiter der Pflegeeinrichtung und zum Schluss Ehefrau Hilda S.. Es war die Altenpflegerin Marie-Luis P., 31, die kurz vor Dienstende auf ihrem turnusmäßigen Rundgang den Schwerstkranken Günter B. gerettet hat. „Er war schon blau angelaufen. Ich riss S. zurück und griff das Kissen. Da erholte sich der Patient wieder“, berichtete sie dem Gericht. Allerdings erlag B. etwa zwei Wochen später seiner schweren Krankheit.

Der Angeklagte S. war offenbar kein einfacher Patient. Er trank wenig, aß kaum und verweigerte Medikamente. „Oder spuckte sie wieder aus. Er hat fast alles abgelehnt“, ergänzte die Altenpflegerin.

Allerdings sei auch bekannt gewesen, dass S. sich durch seinen Mitpatienten gestört gefühlt habe. Die drei Zeuginnen, eine Krankenschwester und zwei Altenpflegerinnen, berichteten übereinstimmend von entsprechenden Beschwerden. Ebenso übereinstimmend beschrieben sie seine zeitweise situative Desorientierung. Auch habe S. mehrfach mit Selbstmord gedroht; er springe aus dem Fenster, habe er gerufen. Den offensichtlichen Verfall ihres Mannes konnte sich Ehefrau Hilda nicht erklären. „Vor der Schulteroperation haben wir ein ganz normales Leben geführt“, betonte sie. Das Ehepaar verreiste, ging einkaufen und besuchte kulturelle Veranstaltungen. „Mein Mann ist auch noch Auto gefahren.“

Es habe bis zu der Operation keine Ausfallerscheinungen gegeben. Auch nach der Operation sei es ihm noch gut gegangen, ergänzte sie. Sie berichtete aber auch von Albträumen, die ihren Mann jahrelang gequält haben. „Es waren immer Kämpfe. Mit wilden Tieren und fiktiven Menschen“, antwortete sie auf Nachfrage des psychiatrischen Gutachters. Im Haus Hog’n Dor wurde S. untergebracht, weil sich seine Frau wegen eines Krankenhausaufenthalts nicht um ihn kümmern konnte.

Die Verhandlung wird am Mittwoch, 21. Mai, um 9 Uhr in Saal 232 fortgesetzt mit dem psychiatrischen Gutachten und den Plädoyers. Das Urteil soll am 23. Mai gesprochen werden.

Das Haus Hog’n Dor wollte sich sich zu dem Vorfall nicht äußern. „Dazu geben wir keinen Kommentar ab“, sagte eine leitende Mitarbeiterin.