Projekt „Ausbruch – Gefangene helfen Jugendlichen“ in Norderstedt gestartet

Norderstedt . Das Projekt, straffällige Jugendliche mit verurteilten Schwerverbrechern in Kontakt zu bringen und so vor einem weiteren Abrutschen in eine dauerhafte kriminelle Karriere zu bewahren, kommt aus Hamburg. Dort hatte der Initiator Volker Ruhe vor knapp 20 Jahren die Idee, mit dieser Schocktherapie junge Kriminelle vor weiteren Straftaten abzuschrecken und gründete dazu den Verein Gefangene helfen Jugendliche.

Der Elmshorner Polizeichef Frank Ritter holte das Hamburger Projekt nach Schleswig-Holstein und erhielt dafür im Jahr 2007 den Präventionspreis des Landes Schleswig-Holstein.

Nun haben sich in Norderstedt zahlreiche Institutionen, die mit Jugendlichen und Heranwachsenden zu tun haben – von der offenen Jugendarbeit, über den allgemeinen sozialen Dienst, die Schulsozialarbeit und Polizei bis zur Jugendgerichtshilfe –, zusammengeschlossen, um das Santa-Fu-Projekt weiterzuentwickeln und erstmals in den Kreis Segeberg zu übertragen. „Wir wollen damit erreichen, verhaltensauffällige oder bereits straffällig gewordene Jugendliche von einem weiteren Abdriften in die Kriminalität zu bewahren“, erklärt Mitinitiator Wolfgang Banse vom kriminalpräventiven Rat der Stadt Norderstedt das Konzept, das jetzt erstmals den beteiligten Organisationen vorgestellt wurde.

Der Erziehungsgedanke steht bei der Arbeit im Vordergrund

Das speziell auf Norderstedt zugeschnittene Modell „Ausbruch“, wie es offiziell heißt, wird durch eine eingehende Vor- und Nachbereitung dieses Gefängnisbesuchs begleitet, erklärt Melanie Stölting vom Norderstedter Jugendzentrum Atrium. So hatte die Sozialpädagogin bei ersten Kontakten mit ihren Schützlingen mit Santa-Fu-Häftlingen festgestellt, dass diese Konfrontation sie allein noch nicht wieder auf den richtigen Weg führte. „Am nächsten Tag fuhren sie doch wieder ohne Führerschein Auto oder dealten mit Drogen.“

Deshalb entwickelte sie zusammen mit Anke Fromme vom Amt für soziale Dienste das Konzept, die Jugendlichen ausführlich auf die Gefängnisbesuche vorzubereiten und unmittelbar danach mit ihnen über die Wirkung zu sprechen und eine mögliche Verhaltensänderung in die Wege zu leiten. „Um das zu gewährleisten, muss die Teilnahme der Jugendlichen möglichst freiwillig sein und der Erziehungsgedanke im Vordergrund stehen.“

Das Grinsen und coole Reden vergeht den Teilnehmern schnell

Schmackhaft gemacht werden soll den straffälligen Jugendlichen ihre Teilnahme, indem sie sich viele Stunden Arbeitsauflagen, zu denen sie wegen Handyraub, Körperverletzung oder dauerndem Schulschwänzen verurteilt würden, durch einen zweitägigen Besuch in der JVA Neumünster ersparen könnten. Das Amt für soziale Dienste und die Jugendgerichtshilfe würden in Absprache bei jenen Jugendlichen, für die es als sinnvoll eingeschätzt werde, dem Jugendgericht diese alternative Strafmaßnahme empfehlen, kündigte Anke Fromme an.

Den Ablauf des Gefängnisbesuchs in der JVA Neumünster beschreibt Klaus Kuhfuß vom Förderverein gegen Jugendgewalt in Flensburg, der seit 2010 landesweit rund 400 Jugendliche mit dort einsitzenden Straftätern zusammengebracht hat. Nach einem Einführungstag, an dem den Jugendlichen der Ablauf in der JVA dargestellt wird, würden diese am zweiten Tag ihre Sachen abgeben, Anstaltskleidung anziehen und die zwei mal drei Meter kleinen Gefängniszellen in Augenschein nehmen. Anschließend werden die Gruppen à sechs bis zwölf Jugendliche mit einschlägig verurteilten Straftätern konfrontiert.

„Das hat bei ihnen ziemlich schnell den Aha-Effekt, der ihr anfängliches Grinsen und ihr cooles Reden über ihre kleinen Straftaten abrupt beendet“, berichtet Kuhfuß. „Hier will ich bestimmt nicht rein“, entfahre es den meisten Jugendlichen nach dieser Schocktherapie. Zumal sie dort nun aus erster Hand erführen, dass es auch den erwachsenen Strafgefangenen, mit denen sie dort sprachen, ebenso erging. Auch die dachten, sie wären so viel schlauer als die Polizei, dass sie nie erwischt werden und würden auch am liebsten so schnell wie möglich in die Freiheit entlassen werden. „Wir setzen da voll und ganz auf den emotionalen Effekt“, sagt Kuhfuß. Die Gefangenen sollten weniger über ihre Straftaten als über ihre Gefühlslage im Knast sprechen, welche Gedanken und Nöte sie haben, warum sie unbedingt wieder raus wollen. „Die meisten Jugendlichen sind von diesen Gesprächen regelrecht wachgerüttelt und gehen mit einer großen Betroffenheit nach Hause.“

In Norderstedt gibt es einige Jugendliche, für die das Projekt infrage kommt

Für die zehn Intensivtäter, die alle schon mal gesessen haben, käme dieses Projekt nicht mehr infrage, sagt Jan Frahm von der Ermittlungsgruppe Jugend der Kripo Norderstedt. Aber Jugendzentrumsleiterin Melanie Stölting und Anke Fromme vom Amt für soziale Dienste haben sich schon eine kleine Gruppe 16 und 17 Jahre alter Jungen ausgesucht, die jetzt als Erstes aus Norderstedt dafür infrage kommen sollen. „Die haben Handys geklaut, Klamotten abgezogen, Graffitis geschmiert, andere Jugendliche geschlagen und gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen“, sagt Stölting über die Bandbreite ihrer Straftaten. Wenn der Knastbesuch wirkt, dürfte dies für lange Zeit ihre letzte Erfahrung mit dem Amtsgericht gewesen sein.