Redaktionsbesuch beim Abendblatt: Acht chinesische Studenten leben derzeit in Norderstedt. Sie suchen ihre berufliche Zukunft in Schleswig-Holstein

Es gibt immer mehr deutsche Grundschüler, die zwischen Klavierunterricht und Reitstunde den Sprachkursus in Mandarin schieben. Weil die Eltern dieser Kinder an den Markt der Zukunft denken, an das Riesenreich China, sein ungebändigtes Wachstum und seine enorme Wirtschaftsmacht. Chinesisch lernen heißt siegen lernen in dieser neuen Welt.

Trotz aller angelernter Sprachfertigkeit wird es uns Deutschen am Ende wahrscheinlich wieder so ergehen, wie es der begnadete Kabarettist Gerhard Polt in einem seiner Sketche, übersetzt auf Italien, skizziert hat. Da bestellt eine Touristin radebrechend italienisch Nudeln mit Soße für zwei, und der Ober sagt am Ende des minutenlangen Vortrags: „Küch’n iss scho zu. Sie können aber gern noch was trinken.“

Zum einen ist Mandarin noch schwieriger als Deutsch. Zum anderen ist uns der Chinese bei der Kommunikation schon wieder um Längen voraus. Beweis gefällig? Redaktionsbesuch am Donnerstag in den Räumen des Hamburger Abendblattes im Kontorhaus an der Rathausallee: Professor Werner Hutterer, ehemaliger Leiter der Volkshochschule Norderstedt, China-Liebhaber und Experte, Leiter des Deutschzentrums der Zhejing Economic an Trade Polytechnic (ZJETP) in Hangzhou, möchte acht chinesischen Studenten die freie deutsche Presse vorstellen.

Während ich mich darauf eingestellt habe, mein Schulenglisch Gassi zu führen, wird der Abendblatt-Redakteur Burgmayer von jedem der fünf jungen Frauen und drei Männern mit einem „Guten Tag! Nett, Sie kennenzulernen!“ begrüßt. Und die besonders aufgeweckte Xiao yi Wu, 20, lächelt verschmitzt und wirft einem ein akzentfreies „Moin, Moin!“ an Kopf.

Frappierend ist, dass sich die jungen Chinesen mit Vornamen wie Michael, Ashley, Lisa, Bettina oder Bella vorstellen. „Meinen richtigen Namen können Sie sowieso nicht aussprechen“, sagt „Michael alias Chen Hanxiang. Er und seine Kommilitonen setzen voraus, dass den Deutschen eben alles, was sie nicht verstehen, sprichwörtlich chinesisch vorkommt. Das ist der Moment, in dem ich mich als Deutscher für meinen beschränkten Horizont zum ersten Mal schäme.

Die Eloquenz der Chinesen ist auch Ausdruck dessen, es hier mit extrem zielstrebigen und leistungsbereiten Menschen zu tun zu haben. Die chinesischen Studenten stammen aus der Metropole Hangzhou und der Hafenstadt Ningbo, sie haben zwischen drei und fünf Jahre Deutschunterricht in Hutterers Deutschzentrum oder auf der Ningbo Foreign Affairs School hinter sich, sprechen und verstehen unsere Muttersprache aber schon beeindruckend gut.

In Deutschland, genauer in Schleswig-Holstein und vielleicht auch in Norderstedt, suchen die acht Chinesen nun ihren Einstieg in eine vielversprechende Karriere. Seit 2007 arbeiten die Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein in Kiel und die ZJETP in Hangzhou zusammen. Etwa 40 Studierende aus China werden jährlich durch ein duales Studium an der Berufsakademie geführt. Drei Jahre büffeln sie Betriebswirtschaft, bis zum Abschluss Bachelor of Arts. Die im Wechsel mit dem Hörsaal vorgesehenen Praxisphasen absolvieren die chinesischen Studierenden in schleswig-holsteinischen Unternehmen.

„Am Ende haben wir Fachkräfte, die für die deutsche Wirtschaft ein Glücksfall sind“, sagt Werner Hutterer. Junge Akademiker, die fließend Deutsch und Chinesisch können, die in beiden Ländern studiert und in Deutschland praktisch gearbeitet haben. Eine Zusammenführung des Besten aus beiden Kulturen. Es ist noch untertrieben, die Möglichkeiten dieser jungen Chinesen auf dem deutschen oder chinesischen Arbeitsmarkt als gut zu bezeichnen. Viele Firmen werden sich die Finger nach ihnen lecken.

Die gut ausgebildeten Eliten in China suchen seit Jahren verstärkt das Weite, sie flüchten vor Umweltproblemen, Lebensmittelskandalen, dem politischen System und gesellschaftlichem Druck im eigenen Land. Wer es sich leisten kann, studiert auf den Elite-Universitäten in England oder in den USA. Die begabten Mittelständler versuchen ihr Glück in Deutschland, wo das Studieren vergleichsweise günstig ist. An die 30.000 chinesische Akademiker sollen bereit in Deutschland leben und arbeiten – Tendenz steigend.

Ein Umstand, den schleswig-holsteinische Unternehmen für sich nutzen sollten, wollen sie auf dem chinesischen Zukunftsmarkt Fuß fassen. Laut der Gesellschaft für Wirtschaftsförderung und Technologietransfer Schleswig-Holstein (WTSH) wird die regionale Wirtschaft immer stärker abhängig von der globalen Entwicklung. Die China-Exporte von Schleswig-Holsteins Unternehmen wachsen: Im Jahr 2012 hatten sie ein Volumen von 952 Millionen Euro, 2002 waren es noch 410 Millionen Euro. Der Import allerdings ist immer noch erheblich größer. Im vergangenen Jahr wurden Produkte im Wert von 2,1 Milliarden Euro eingeführt.

Die acht derzeit bei Norderstedter Familien untergebrachten Chinesen würden gerne auch bei Norderstedter Firmen unterkommen. „Ich liebe die deutsche Musik und Architektur. Ich kann mir gut vorstellen, hier zu bleiben“, sagt Wenjiao Wang, die sich Vivien nennt. „Ich würde den Deutschen die chinesische Kultur und Sprache gerne näherbringen.“ Ihre berufliche Zukunft sieht sie im Dienstleistungsbereich. Ihre Kommilitonen haben ähnlich konkrete Vorstellungen. Zou Yirong (Ashley) möchte im Im- oder Export oder in der Logistik unterkommen. Kang Zheng gang, der seinen Namen einfach übersetzt hat und sich deswegen von den Deutschen Diamant nennen lässt, möchte gerne ins Personalmanagement oder Marketing, ebenso wie Xiao yi Wu alias Bettina oder Hu Haichen alias Bella.

Von den Vorzügen ihres Gastlandes Deutschland sind alle acht überzeugt. Wenjiao Wang sagt, die Luft sei hier so gut. Und an einem Tag könne man wettermäßig alle Jahreszeiten erleben. Xiao yi Wu spürt in Deutschland, was es bedeutet, frei zu sein und wie es ist, wenn Medien frei berichten dürfen und Korruption nicht allgegenwärtig ist. Xu Yuje (Paul) nimmt das Abendblatt und tippt auf die Seitenzahl 28. „Bei uns haben Zeitungen nur vier Seiten. Und es steht nicht so viel Information drin.“