Familie Böttger wurde zum Verkauf ihres Hofes gezwungen. Nun stellt sich heraus: Eventuell wird die A 20 dort nie gebaut

Traventhal/Klein Gladebrügge. Es gibt kein Zurück. Familie Böttgers Vergangenheit rottet zwischen Bad Segeberg und Klein Gladebrügge vor sich hin. Berge von Unrat, zerborstene Scheiben und ausgeschlachtete Wohnräume sind übrig geblieben vom einst prachtvollen Christianshof, der idyllisch neben dem Gieselteich am Segeberger Stadtrand liegt. In zweiter Generation züchteten hier Klaus Uwe, 54, und Heike Böttger, 48, Küken, Hennen und Hähne. Der Geflügelhof war ihr Leben und das war nicht schlecht: Klaus Uwes Eltern hatten sich auf dem Gelände ihr Altenteil bauen lassen, die eigenen vier Wände hatte die Familie endlich nach eigenen Vorstellungen renoviert, viel Geld für schicke Möbel ausgegeben. Das Geflügelgeschäft lief gut und an warmen Tagen überredete Sohn Malte alle zum Baden im Gieselteich.

Dann kam die Autobahn 20.

Heike Böttger erinnert sich noch an den Tag, als der ihr unbekannte Herr vom Straßenbauamt Lübeck den Christianshof besuchte. Die Botschaft: Die geplante Trasse der A20 verläuft genau über dem Hof der Böttgers. Eine 18 Meter hohe Brücke über den Gieselteich und den Christianshof ist geplant. „Sie müssen hier im Prinzip weg“, habe der Herr gesagt. Und weiter: „Wenn Sie nicht verkaufen wollen, werden sie enteignet. Dann stecken wir Sie schneller ins Hotel, als Sie gucken können.“

Heute füllen die Erinnerung an den Christianshof zwei dicke Aktenordner, Heike Böttger knallt sie auf den schweren Holztisch neben der offenen Küchenzeile. Die Fenster sind geschlossen, trotzdem zieht es ein bisschen, Heike Böttger trägt Fleece. Von innen blickt man auf den kleinen von ihr liebevoll gepflegten Garten; daneben liegen die acht Ställe, in denen Hühner, Puten und Gänse leben. Gegenüber gibt es noch ein altes Wirtschaftshaus aus rotem Klinker. So sieht sie aus, die neue Heimat der Böttgers. Hierhin, an den Rand Traventhals, zogen die Böttgers schließlich 2006 kurz vor den Weihnachtstagen. Den Christianshof, nur fünf Minuten entfernt, haben sie verkauft – es ging nicht anders. Das neue Grundstück ist größer als das alte und auch günstiger gelegen. Die schweren Lkw können bis an die Ställe heranfahren, auf dem Christianshof musste noch per Hand ausgemistet werden.

Anfänglich haderte Heike Böttger mit ihrem neuen Heim

Dennoch: „Ich wollte das hier alles anfangs nicht“, sagt Heike Böttger und blättert im Aktenordner an einem Bild vorbei, das sie und ihren Sohn völlig verrußt mit einer Schaufel in der Hand beim Renovieren zeigt. Der Resthof war in keinem guten Zustand, als die Familie ihn mit dem Geld vom Verkauf des Christianshofes erwarb. „Eigentlich war er mehr Rest als Hof“, sagt Heike Böttger. Zusammen mit Freunden renovierte die Familie monatelang, mittlerweile ist das Haus endlich schimmelfrei. Klaus Uwe Böttger fiel der Abschied vom Christianshof noch schwerer als seiner Frau. Dort war er aufgewachsen, „in den Hof hat er sein Leben gesteckt“, sagt Heike Böttger.

Nach vorne wollen sie nun schauen, im neuen Heim, mit einem gut laufenden Geschäft. Die Vergangenheit aber holt die Familie in diesen Wochen immer wieder ein: Möglicherweise war der Verkauf des geliebten Hofes überhaupt nicht notwendig. Denn vielleicht wird die Autobahn 20 überhaupt nicht auf dem Grundstück gebaut – so genau weiß das zurzeit keiner. Schuld daran sind die Fledermäuse aus der Segeberger Kalkberhöhle. Aus Sorge um ihren Schutz stoppte jüngst das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig den Weiterbau der A20 zwischen Weede und Wittenborn. Auch andere mögliche Routen müssen jetzt geprüft werden.

Harald Haase, Sprecher des Landesverkehrsministeriums, geht davon aus, dass die Route geändert werden muss. Große Schwenkungen will das Land aber vermeiden. Die bisher geplanten Eckpunkte des Streckenabschnitts, Weede und Wittenborn, sollen miteinander verbunden werden. Nur wie genau, das weiß niemand. Zurzeit zählt das Land fleißig Fledermäuse und verbessert die Planung. Ob die Brücke über den Gieselteich gebaut werden wird, kann auch Haase nicht absehen.

„Ich bin mit meinem Leben, so wie es ist, zufrieden“, sagt Heike Böttger. Und trotzdem: „Es betrübt mich, dass wir nicht wissen, ob dort nun überhaupt gebaut wird.“ Vorsichtig stapft sie über das, was vom Christianshof noch übrig geblieben ist. Überall liegt Gerümpel, die Haustür ist aufgebrochen, die Scheiben eingeschlagen. „No Policía“ wurde mit Graffiti an die Wand gesprüht. Für kurze Zeit habe die Polizei den Hof als Trainingsgelände genutzt. Danach hausten hier Vandalen. Jetzt gewinnt die Natur langsam die Überhand.

Über den Verkauf des Christianhofes zerstritt sich die Familie

Klaus Uwes Vater Hans Böttger bekam nur die Anfänge der jahrelangen Verhandlungen um den Verkauf mit. Nach seinem Tod 2001 gehörte das gesamte Grundstück seiner Frau, Christa Böttger. Mit dem Verkauf begann auch der Streit um das Geld. Heike und Klaus Uwe Böttger brauchten das Kapital, um mit neuem Hof neu anzufangen. Christa Böttger wollte ihre Rente sichern. „Mein Mann hat sein ganzes Leben in den Betrieb gesteckt“, sagt Heike Böttger. „Ich habe an seiner Seite gestanden.“ Letztendlich konnten die beiden sich den neuen Hof kaufen, Christa Böttger zahlen sie eine Rente. Spuren hat der Streit trotzdem hinterlassen. „Wir reden nicht mehr miteinander“, sagt Heike Böttger. „Leider.“

Neben dem Haus auf dem Christianshof stehen mehrere Amerikanische Eichen. Etwa 15 Meter sind sie hoch, gepflanzt hat sie noch Hans Böttger. Wenn die Autobahn gebaut und die Eichen abgeholzt werden, bekommen die Böttgers das Holz. Das haben sie in einem Vertrag mit dem Straßenbauamt vereinbart. „Falls jemals gebaut wird“, ergänzt Heike Böttger mit zynischem Unterton. Tatsächlich gibt es diese Momente des Zweifels, wenn sie über die alten Backsteine streicht, die sie so mag. „Die Mauern sind ja solide“, sagt Heike Böttger dann. „Vielleicht könnte man das noch einmal sanieren.“ Aber woher das Geld nehmen? Mit einem Seufzer begräbt sie den Gedanken wieder.

Im Dorf gibt es derweil Gerüchte, dass eine alternative Autobahnroute genau zwischen Traventhal und dem neuen Hof der Böttgers verlaufen könnte. „Das“, sagt Heike Böttger, „wäre dann der wahre Schildbürgerstreich.“