In der Notunterkunft am Langenharmer Weg nehmen auch psychische Probleme und die Gewaltbereitschaft zu

Norderstedt. Die Zahl der Menschen, die sich in Norderstedt obdachlos melden, ist im Jahr 2013 angestiegen. In der städtischen Notunterkunft für alleinstehende Obdachlose am Langenharmer Weg suchten im vergangenen Jahr 32 Menschen ein Dach über dem Kopf. Elf davon waren auch Anfang 2014 noch in den Schlichtwohnungen in Harksheide untergebracht. Insgesamt wohnen derzeit 33 Menschen in der Unterkunft. Anfang 2013 waren es noch 31 gewesen. Die Zahlen gehen aus dem Jahresbericht der Einrichtung hervor, den Kristin Willers erstellt hat. Die Sozialarbeiterin des Diakonischen Werkes Hamburg-West/Südholstein betreut gemeinsam mit ihrer Kollegin Karen Schueler-Albrecht im Auftrag der Stadt Norderstedt die Obdachlosen.

Nach wie vor gibt es Menschen, die ihr gesamtes Leben in der Notunterkunft verbringen. Der älteste Bewohner lebt im zwanzigsten Jahr am Langenharmer Weg. Doch die Fluktuation in der Unterkunft war 2013 besonders hoch. 21 der 2013 neu angemeldeten Obdachlosen haben die Einrichtung wieder verlassen. Aber nur neun davon, weil sie eine reguläre Wohnung oder eine Wohngemeinschaft gefunden hatten. Bei den „Langzeitmietern“ am Langenharmer Weg sieht diese Quote kaum anders aus. Lediglich ein Bewohner, der über sechs Jahre in der Notunterkunft verbrachte und drei Bewohner, die seit etwas über einem Jahr am Lagenharmer Weg lebten, fanden eine eigene Wohnung. In ein Altenheim umziehen konnte ein Bewohner, der vier Jahre in der Notunterkunft gelebt hatte.

„Auffällig ist: Keine einzige dieser Wohnungen lag in Norderstedt“, sagt Kristin Willers. Es sei nahezu ausgeschlossen, im unteren Preissegment eine bezahlbare Ein-Zimmer-Wohnung in Norderstedt zu finden. „Selbst Leute mit Arbeit haben das Problem. Wenn du 800 Euro verdienst und 500 für die Miete ausgeben sollst, geht das eben nicht.“ Einige der Bewohner am Langenharmer Weg könnten die Unterkunft verlassen. Sie haben ihre Angelegenheiten geregelt. „Sie wollen in Norderstedt bleiben, weil sie hier ihr Umfeld haben. Doch das ist nur mit vergleichsweise hohem Einkommen möglich.“ Verschärft worden sei die Lage durch die umstrittene Anhebung der Mietobergrenzen für Sozialhilfeempfänger im Raum Norderstedt. „Entgegen der Ankündigung der Politik, dass diese Grenzen wieder nach unten korrigiert werden sollen, ist bisher nichts geschehen in der Sache. Die Grenzen gelten immer noch. Das macht die Wohnungssuche utopisch.“

Besonders prekär sei die Lage bei den jungen Erwachsenen, deren Anzahl bei den Obdachlosen angestiegen sei, so Willers. „Es gibt kaum Angebote für Jung-Erwachsene. Die Perspektivlosigkeit ist erschreckend.“ Mit chaotischem Lebenslauf, ohne abgeschlossene Ausbildung, sei es noch schwerer geworden, einen Neuanfang hinzubekommen. Und unqualifizierte Jobs bringen nicht genügend Geld für das Überleben.

Perspektivlosigkeit und eine von Kristin Willers beobachtete Zunahme von psychischen Problemen unter den Bewohnern, sorgt für wachsende Gewaltbereitschaft bei einzelnen Personen. 2012 wurde die Sozialarbeiterin von einem Bewohner tätlich angegriffen. Gelegentliche Besuche bei den Bewohnern in den insgesamt 25 Zwei-Bettzimmern, den beiden Einzelzimmern und dem einen Notfallzimmer macht Willers aus Sicherheitsgründen nur noch gemeinsam mit ihrer Kollegin Karen Schueler-Albrecht. Im Büro der Unterkunft sorgt mittlerweile ein massiver Holztresen an der Eingangstür dafür, dass niemand unkontrolliert eindringen kann. Auch unter den Bewohnern gibt es regelmäßig Streit. Die auf dem Papier angeordnete Doppelbelegung der Zimmer vermeiden die Damen der Diakonie deshalb so gut es geht. „Manche argumentieren ja, dass die Einzelbelegung zu komfortabel für die Bewohner ist und dass die Doppelbelegung den Druck erhöhen soll, damit sich die Menschen eine eigene Bleibe suchen. Doch das ist totaler Quatsch. Das Leben hier ist auch im Einzelzimmer nicht besonders schön“, sagt Willers.

Die Unterbringung im Einzelzimmer sei einfach zeitgemäß. In der bereits beschlossenen Planung für den Neubau der Obdachlosenunterkunft werde das auch umgesetzt. „Der Weg in die Obdachlosigkeit ist kürzer geworden. Das kann jeden von uns treffen“, sagt Kristin Willers.

Mit Sorge blicken sie und ihre Kollegin der Unterbringung von bis zu 200 Asylbewerbern in Norderstedt in diesem Jahr entgegen. Es könne dazu kommen, dass Bewohner der Unterkünfte an der Lawaetzstraße und am Buchenweg in den Langenharmer Weg umziehen müssten. Das würde das Konfliktpotenzial dort erhöhen. Willers: „Wir bemühen uns, alle Bewohner und ihre Eigenarten im Blick zu halten. Aber letztlich haben wir nur eine Notpflasterfunktion.“